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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
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Präsidentschaftskandidat, der sich auf den Kragen seines weißen Rollis den Namen »Mike Tyson« hat einsticken lassen und aus Somalia so eine Art Gottesstaat machen will, wenn ich ihn richtig verstehe;
    – zu Colonel Abdi Assis, genannt Garam Garam (›Der mit gebrochener Stimme spricht‹), nach eigener Aussage die rechte Hand des mittlerweile entmachteten Warlords General Morgan, der besser bekannt ist als »Schlächter von Hargeisa«, weil er dort mal alle Feinde im Handstreich plattmachte;
    – zu Jama Adam Mohammed, genannt Jama, dem seit seinem Kampf gegen die Amerikaner an der Seite von General Aidids ein halber Finger fehlt, weswegen er die amerikanische Regierung »noch in Grund und Boden klagen wird«, wie er sagt;
    – zu Abdir Hassan, ehemals Fußballprofiaus Mogadischu, jetzt Exilsomali aus London ohne jegliches Amt, der in der Lobby mit seinen Beleidigungen, die Abgeordneten seien »alles faule Säue, die man erschießen sollte, weil sie sich hier in Nairobi eine gute Zeit machen, während in Somalia die Kinder verhungern«, schon für einigen Aufruhr gesorgt hat;

    – zu dem anfangs schon erwähnten Warlord Omar Muhamoud »Finnish«, Religionsminister, der seinem Publikum gerade verkündet, er sei bereit, seine 2000 Kalaschnikows und vierzig Panzerwagen der Regierung zu überlassen, solange die »bereit ist, den aktuellen Marktpreis zu bezahlen«.
    Und zu fünfzig, sechzig anderen, die, mit Zetteln, Flugblättern, Büchern, Statistiken und irgendwelchen »Zeugenaussagen aus erster Hand« bewaffnet, in der Lobby herumstehen und alles diskutieren, was ihnen gerade einfällt: die »äthiopische Frage«; die Frage, ob Ministerpräsident Ghedi »mehr Tierarzt oder Politiker« sei; Macht und Waffenstärke der einzelnen Warlords im Kabinett; ihre Lieblingspolitiker der Weltgeschichte (Helmut Schmidt, Berlusconi, General Aidid, Idi Amin, Bill Clinton, Nelson Mandela, Arnold Schwarzenegger, Lenin); ihre Meinung zur Lage im Irak, Iran, Afghanistan, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Wem zugehört wird, der blüht auf und ergeht sich in stundenlangen Monologen; wer sich unverstanden fühlt, wendet sich ab und versucht sein Glück im nächsten Kreis.
    Eigentlich ist es bloß ein gigantisches Theaterstück:
    Die Zeit: sechs Uhr abends. Der Ort: Lobby des Hotel Sixeighty. Beleuchtung: Neonlicht, das von oben auf die Darsteller fällt. Stimmung: gebremst hysterisch. Garam Garam, rechte Hand des Kriegsverbrechers General Morgan, betritt die Szenerie.
    GARAM GARAM , den Kopf schwer in die Runde neigend: »Eine Zukunft Somalias ist nur mit General Morgan vorstellbar.«
    ABDIR HASSAN , die Arme verschränkend und sich vor allen aufbauend: »Ach, papperlapapp: Der tut doch nichts, außer im Grand Regency herumzusitzen und Whiskey zu trinken.«
    GARAM GARAM: »Natürlich tut der was!«
    ABDIR HASSAN: »Was denn?«
    GARAM GARAM: »Er organisiert. Er hält Kontakt zu unserer Miliz in Kismayo.«
    JAMA , den Fingerstumpen hebend: »Dem muss ich zustimmen! Ich habe selber mitgekriegt, wie er neulich mit seinen Leuten telefoniert hat. Er klang entschlossen und stark, so stark wie damals, als wir die Pakistanis aus dem Land geschmissen haben.«
    ABDIR HASSAN: »Eure Miliz in Kismayo? Wie viel Mann sollen das denn noch sein? Dreißig? Vierzig? Sind das nicht eher die Soldaten von Barre Hirale, der ihn dort letztes Jahr vernichtend geschlagen hat?«
    Schweigen. Abtritt Garam Garam, Auftritt Qaasim Hersi Fara.
    QAASIM: »Auf Seite fünf meines Präsidentschaftskandidatendossiers äußere ich mich sehr ausführlich zu Fragen der Amnestie und Nicht-Amnestie von ehemaligen Bürgerkriegsteilnehmern.«
    ALLE , sich wegdrehend: »Nicht der schon wieder!«
    Meine Einschätzung der Lage nach den Gesprächen mit Bari Bari und Ghedi war falsch: Das Problem, das den Somalis und ihrer Heimreise im Weg steht, ist nicht, dass keiner einen Plan hat. Das Problem ist, dass JEDER einen Plan hat. 165 Somalis an einem Ort sind nicht 165 andere Namen für das Wort ›Ärger‹. Es sind 165 völlig verschiedene Vorstellungen davon, wie ein neues Somalia auszusehen hat. Und zu den 165 Vorstellungen kommen noch die 110 Vorstellungen der Somalis hinzu, die in den anderen Hotels untergebracht sind!
    Der X-Faktor beträgt also 275.
    »Verstehen Sie?«, fragt Rashid und deutet in die Lobby. »Wir sind in den Jahren des Krieges alle abnormal geworden! Es hat nie eine Aussöhnung gegeben zwischen den verfeindeten Clans, und nun hat man uns hier

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