Die Sache mit dem Ich
zusammengepfercht in der Hoffnung, dass etwas dabei herauskommt. So aber kommt auch in zehn Jahren nichts heraus, außer unlösbaren Formeln wie: Die, die sich nicht einigen wollen, sollen sich einigen; und: Die, die ihre Waffen nicht abgeben wollen, sollen bitte ihre Waffen abgeben. Wie denn, wenn einer dem anderen misstraut und jeder nur das Beste für sich herausschlagen will?«
Rashid wirft die Hände in die Luft.
Später in dieser Nacht sitzen Zuder, Rashid und ich mit dem somalischen Journalisten Abdi-Rahman Roble auf Rashids Zimmer Nr. 408 des Hotel Sixeighty. Roble erzählt von dem Fernsehsender, den er in Mogadischu gerade aufbaut, erst letzte Woche war er wieder da, allein, ohne irgendeine Begleitung der Regierung.
»Wenn man will, geht es«, sagt Roble und zuckt mit den Schultern. »Man muss sich nur entschließen, hinzufahren, ohne monatelang darüber abzustimmen. Und natürlich vorsichtig sein.«
»Und die islamischen Fundamentalisten?«
»Es gibt sie, na klar. Aber soll ich nie wieder nach Hause, bloß weil’s dort ein paar Leute gibt, mit denen ich nicht einverstanden bin?«
Wenn Roble rechnet, scheint er ohne den X-Faktor auszukommen. Aber er ist ja auch kein Parlamentarier.
»Bari Bari bot uns an, übermorgen mit dem Präsidenten nach Somalia zu fliegen«, sage ich.
»Daraus wird nichts«, sagt Rashid. »Habe ich vorhin erfahren.«
»Warum?«
»Ein plötzlich aufgetretenes Problem mit den Landebahnen.«
»Angegriffen? Zerstört?«
»Nein. Zu kurz. Hat man gerade eben herausgefunden.«
Alle grinsen: Ein neuer X-Faktor.
»Eins muss ich noch wissen, Rashid. Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, was in den Zimmern 320 und 321 geschehen ist?«
Rashid überlegt einen Moment.
»Eine Grillparty vielleicht? Wir Somalis essen gern italienisch, aber im Hotelrestaurant servieren sie es leider nicht oft genug. Gut möglich, dass man sich dort einen Branzino an Limone mit Kartoffeln und Frühlingsgemüse zubereitet hat.« Rashids Lachen hört man noch bis zum Fahrstuhl.
Auf dem Rückweg in mein Zimmer schaue ich noch mal in der Lobby vorbei.
Sie sind noch da, jetzt allerdings in einem völlig anderen Zustand. Ruhig. Sanft. Schweigend. Einige schnarchen, einige wühlen sich von einer unbequemen Lage in die nächste, andere liegen in den Stühlen wie erstarrt.
Sie sind alle eingeschlafen.
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Der Postkastenmann
Ich trug eine dunkle Brille und einen beigefarbenen Tropenhut, als ich auf dem Postkasten saß.
Es war ein wunderbarer Tag: Die Sonne knallte vom Himmel, die Mädchen trugen kurze Röcke, und aus den heruntergekurbelten Fenstern der Autos drang seltsamerweise keine Schrottmusik, sondern die Lieder der Beach Boys.
Was also hatte ich auf einem Postkasten zu suchen?
Geplant hatte ich es nicht: Ich war aufgestanden, wie ich immer aufstehe; ich hatte geduscht und mir einen Kaffee gekocht, und dann ging ich raus, auf die Straße, in die Sonne, zu den Mädchen.
Da war so viel Licht, dass ich taumelte.
Und auf einmal stand ich vor dem Postkasten.
Er leuchtete hell und gelb und sah in diesem Moment – nun, wie soll ich es sagen? – ansprechend aus. Während alles um ihn herum in Bewegung war, stand er dort, fest und sicher wie ein Monolith zwischen den Gehwegplatten, die um ihn herum eingelassen waren. Ansonsten war nichts Besonderes an ihm: Er hatte einen roten Punkt, zwei Briefschlitze und ein Schild mit den Leerungszeiten – einmal um zwölf, einmal um siebzehn Uhr. Der Zwölf-Uhr-Termin war gerade vorbei, der Kasten musste also leer sein.
War es der rote Punkt, der mich anlockte?
Jedenfalls kletterte ich auf den Postkasten.
Es war nicht besonders schwierig.
Was, fragte ich mich dann, auf dem Postkasten sitzend, werdenwohl die Leute sagen, wenn sie mich sehen, auf dem Postkasten sitzend? Was werden die Frauen denken, was die Männer, und was werden Eltern ihren Kindern antworten, den Mann auf dem Postkasten betreffend? Werden sie sagen, der Mann auf dem Postkasten sei ein Irrer, vielleicht gefährlich – oder werden sie mich überhaupt nicht bemerken?
Diese Fragen beschäftigten mich.
Vielleicht blieb ich sitzen, weil ich keine Antworten darauf hatte.
Es war nicht sonderlich bequem auf dem Postkasten, denn ich benötige zum Sitzen immer eine Lehne für meinen Rücken, der schnell in sich zusammensackt. Weil ein Postkasten keine Lehne hat, musste ich meine Wirbelsäulenmuskeln sehr anstrengen, damit mein Rücken nicht zusammensackte.
Und dann kam schon der erste Mann auf
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