Die Sache mit dem Ich
sind die Herren aus Zimmer Nr. 721 meist recht freundlich, wenn man nicht gerade orthodoxer Jude oder bekennender Kreuzritter ist.
»Salaam Aleikum, Fremder! Zigarette?«
»Aleikum Salaam, Freunde! Gern, aber gibt’s hier auch ’n Aschenbecher?«
»Wer braucht denn so was?«
Und dann wieder:
»Wenn die Äthiopier kommen, gibt’s Krieg, Abdulrahman!«
»Niemals trauen die sich ins Land, Osman!«
»Und was war 1964?«
»Da haben wir doch angefangen!«
»Ja, und jetzt fangen halt DIE mal an!«
»Quatsch!«
»Kein Quatsch!«
Nicht wesentlich anders geht es in 164 weiteren Zimmern des Hotel Sixeighty zu, die ebenfalls alle von Angehörigen der somalischen Regierung bewohnt werden.
Der somalischen was bitte?
Erinnern wir uns kurz: Somalia, das ist das Katastrophenland, das sich seit vierzehn Jahren konstant im Zustand von Bürgerkrieg, Anarchie, Clankämpfen, Hunger und Dürre befindet; das Land, das nach dem Sturz von Siad Barre 1991 nie mehr auch nur im Ansatz das hatte, was man im Rest der Welt als Regierung bezeichnen würde. Somalia steht für Warlords und Straßenkiller, zerstückelte UNO -Blauhelm-Soldaten, ermordete Journalisten, abgeschossene Black-Hawk-Hubschrauber und eine Stadt namens Mogadischu, die das Bild, das wir bislang von der Hölle hatten, durch ein etwas zeitgenössischeres ersetzte.
Genau dieses Höllensomalia hat seit Kurzem eine neue Regierung. Fast war es nicht zu glauben, als es EU , Internationaler Gemeinschaft und IGAD , einem Zusammenschluss von sieben ostafrikanischen Staaten, vor ein paar Monaten, im Oktober 2004, in Nairobi endlich gelang, die unzähligen Warlords, Clankämpfer und Nomaden zu einer Einigung zu drängen. Gut: Das 275-köpfige Parlament mit seinen 47 Ministern, 47 Stellvertretern, mit Ministerpräsident Ali Mohammed Ghedi und Staatspräsident Abdullahi Yusuf an der Spitze, das sie jetzt haben, ist, gemessen an den rund sieben Millionen Menschen, die in Somalia leben, nicht gerade das, was in eine Vier-Zimmer-Wohnung passt – aber jeder Warlord sollte den Ministerposten kriegen, der ihn zufriedenstellt, damit er nicht gleich wieder Krieg anfängt. Auf Berufserfahrung des Einzelnen wurde dabei größtmögliche Rücksicht genommen: Warlord Osman Atto, der den UN-Trupps früher die Gebäude wegbesetzte und Jeeps und Lastwagen klaute, ist für Transportwesen und Wohnungen zuständig. Warlord Musa Sudi Yalahow, Vorzeigemoslem, der der UNO Wasserkanister und Hygieneeinrichtungen stahl, bekam das Handelsministerium. Warlord Omar Muhamoud Filish, Spitzname ›Finnish‹, weil er so viele Feinde in Allahs Paradies schickte, wurde Minister für »religiöse Angelegenheiten«. Und Warlord Hussein Aidid, Sohn des berühmten US-Soldatenkillersund Putschisten General Aidid, hat als stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister den klassischen Doppeljob.
Jetzt müssten sie eigentlich bloß noch nach Mogadischu fahren und das Regieren anfangen.
Eigentlich.
Aus irgendeinem Grund aber lassen die Somalis jeden angekündigten Umzugstermin verstreichen. Zuerst war es Ende Januar. Dann Ende Februar. Dann Ende März. Jetzt haben wir Anfang April, und sie sind immer noch in Nairobi. Und im Hotel Sixeighty.
Warum, ist ungeklärt. Es muss daher einen X-Faktor geben im Rätsel Somalia – eine unbekannte Variable, einen Störfaktor, der dem Parlament die Rückkehr in die Heimat unmöglich macht. Suchen wir ihn also, den X-Faktor.
Wir beginnen bei den Experten. Bei den Jungs in Zimmer Nr. 721.
»Warum seid ihr noch hier, Abdulrahman?«
»Mogadischu ist im Augenblick zu gefährlich. Wir würden sofort erschossen, wenn wir dort über die Straße gehen würden.«
»Zu gefährlich? Jahrelang erprobte Kämpfer wie ihr, die weder Tod noch Teufel fürchten und für die Krieg eher was Sportliches ist als was Persönliches, benutzen noch Ausdrücke wie gefährlich?«
So irre es klingt, wenn man die Biografien der Warlords und Milizionäre durchgeht, scheint Abdulrahmans Einschätzung auf den ersten Blick gar nicht so abwegig, denn Frieden ist in Mogadischu noch lange nicht. Nach wie vor gibt es weder Polizei noch Justiz in der Stadt, noch immer teilt sie sich in sieben oder acht Bezirke, in denen jeweils ein Clan regiert. Als vor wenigen Wochen eine Delegation hingeschickt wurde, um das Terrain zu sondieren, wurde die begleitende BBC – Journalistin Kate Peyton vor ihrem Hotel erschossen. Zwölf Tage später ging an einer Hauptstraße, an der ein UN – Transporter
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