Die Sache mit dem Ich
vorbeikommen sollte, eine Motorradbombe in die Luft, die fünf somalische Kinder tötete. Und vor zwei Monaten erst spielten ein paar Irre mit den ausgebuddelten Gebeinen des italienischen Friedhofs Fußball.
All diese Dinge weiß man sicher.
Nicht so genau weiß man, wer für all den Stress verantwortlich ist. Auch im Hotel Sixeighty nicht.
Mister Allahi Jama in Zimmer Nr. 834 vermutet, es waren islamische Fundamentalisten der Gruppierung Al Itihaad, die enge Verbindungen zu al-Qaida haben soll und deren Koranschulen in Mogadischu angeblich enorm an Einfluss gewonnen haben.
Mister Hussein Jabiri in Zimmer Nr. 428 vermutet, es war irgendein Subclan, der seine besetzten Straßen, Gebäude, Transportwege nicht an die Regierung abtreten will.
Mrs. Asha Ali in Zimmer Nr. 719, eine der wenigen Frauen im Parlament, glaubt, es handle sich um ein unglückliches Missgeschick.
Und ganz aktuell ist die Vermutung einiger Warlords der Clans Haba Gedir und Abgal aus Mogadischu, der Anschlag auf Kate Peyton und die Explosion seien von Präsident Abdullahi Yusuf höchstpersönlich geplant worden, der als Angehöriger des Darod-Clans aus dem Norden Mogadischu als Hauptstadt ablehnt, weil er befürchtet, man würde ihn dort sofort umlegen, wenn er mal aus dem Fenster guckt, um sein Volk zu begrüßen. Vielleicht hätte Yusuf darauf verzichten sollen, zur Entwaffnung der Clans 30.000 Afrikanische-Union-Truppen anzufordern, vor allem aus Äthiopien, mit denen er in seiner Zeit als Präsident der Nordregion Puntland gute Erfahrungen gemacht hat, weil sie ihm durch Waffen- und Soldatenlieferungen zu einer zweiten Amtszeit verhalfen. Äthiopische Soldaten, die ihnen die Kalaschnikows abnehmen – das ist eine Vorstellung, die vielen Somalis nicht gefällt. Sie befürchten eine Besetzung durch das christliche Land, gegen das sie schon zweimal Krieg führten. Dass auch Ministerpräsident Ghedi was gegen Yusufs Plan hat, macht die Sache nicht einfacher.
Es gibt allerdings noch eine zweite Theorie, warum die Somalis nicht nach Hause gehen. Die besagt, es gefalle ihnen in Nairobi sogut, dass ihnen die Lust aufs Regieren in der Heimat vergangen sei. Die These wird gestützt vom kenianischen Präsidenten Kibaki, der die Somalis in seiner Neujahrsansprache aufforderte, so bald wie möglich das Land zu verlassen, weil sie ihm auf die Nerven gehen. Sie wird ebenfalls vertreten von John K. Shabaan, Manager des Hotel Sixeighty, der sich angewöhnt hat, über seine Gäste nur noch in Ratespielen zu reden:
»Was sind 165 Somalis auf einem Haufen?«
»Keine Ahnung, Herr Shabaan.«
»165 neue Namen für das Wort ›Ärger‹.«
Eine hübsche Analogie – aber darf sich der Investigativjournalismus unserer Zeit damit zufriedengeben? Reicht die Einschätzung eines möglicherweise tendenziösen Betroffenen, der sich um den Ruf seines Etablissements sorgt, aus, um zu klären, warum die Somalis in Wartestellung verharren wie das berühmte Kaninchen vor der noch berühmteren Schlange? Genügt das schon zur Identifizierung des X-Faktors?
Wir meinen nein und wenden den Blick daher wieder auf die Somalis.
Gemessen daran, wo die meisten von ihnen herkommen, ist es ja auch nicht ganz schlecht im Sixeighty. Jeder Abgeordnete hat sein eigenes Zimmer, TV , Koran-Leselampe, Essen gibt’s dreimal täglich, die Rechnungen für das All-Inclusive-Nairobi-Pauschalpaket für die 165 Somalis im Sixeighty und den restlichen 110, die in anderen Hotels in Nairobi untergebracht sind, übernehmen EU , IG und IGAD , deren Ausgaben für den Friedensprozess mittlerweile in Milliardenhöhe liegen. Abdulrahman, Khadar und Ali, meine Freunde aus Zimmer 721, kommen aus der Republik Somaliland im Norden und waren einfache Fischhändler, die zusammen in einer Blechhütte lebten, bevor sie als Abgeordnete von ihrem Clan, einer Untergruppierung der Darod, zur Konferenz nach Nairobi geschickt und Politiker wurden. Wenn du dein Leben lang auf Strohmatten und Holzplanken geschlafen hast, weißt du’s zuschätzen, wenn jeden Mittag das Zimmermädchen vorbeikommt, die Betten aufschlägt und den Dreck von gestern wegräumt. Und Dreck, man kann es leider nicht anders sagen, machen sie ziemlich viel. Es ist so eine Art Punkrock, den sie im Hotel Sixeighty veranstalten. Neben den ausgedrückten Zigaretten empfinden die Zimmermädchen und Mister Shabaan vor allem die Khatreste auf dem Teppich als störend. Das Khat ist eine Rauschpflanze aus der Gegend um den Mount Kenya, seit
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