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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
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die Anbaugebiete der Blauen Agave fährt. Nur die Blaue Agave, die hier, im Staat Jalisco, besonders gut wächst, ist die Tequila-Agave. Aus allen anderen wird Mescal gewonnen; minderwertiger Brennschnaps, der den Schriftsteller Malcolm Lowry (»Unter dem Vulkan«) in den Wahnsinn trieb.
    Den ersten Drink (Bah!) gab’s um 10.45 Uhr, etwa eine halbe Stunde später begannen die Mitreisenden, zu Mariachi-Musik zu tanzen. Der Führer zeigte uns die Brennerei Herradura, die, wie so viele andere auch, seit es Mitte der Neunzigerjahre zum großen Tequila-Boom kam (besonders US -College-Studenten soffen ihn wie die Russen ihren Wodka), mittlerweile von einem amerikanischen Alkoholika-Großkonzern gekauft wurde. Der Führer erzählte von der Aztekengöttin Mayahuel, die zuerst den klebrigen Saft aus der Agave gewonnen haben soll, der nach dem Brennen dann zum Indio-Schnaps gemacht wurde, der heute Tequila heißt, nach der Gegend hier und einem Vulkan, der seit 50000 Jahren schweigt. Bei Herradura zeigten sie uns, wie Berge von Agavenherzen in Dampföfen weich gekocht werden. Mühlen pressen den Saft heraus, eine Art Honigwasser, das in Fässern mit Hefe angereichert und zweimal destilliert wird – zu den Tequilatropfen, die das Tequilameer ergeben, das die Mexikaner dann austrinken.

    Es roch klebrig und süß in der Destillerie, wir bekamen Tequila-Alcopop-Softdrinks angeboten (»Vampiro« hieß einer); aber um zu verstehen, was die Seele des Tequila ausmacht, die auch ein bisschen die Seele Mexikos ist, musste ich weg von den Touristen und rein in den Ort.
    Was ich erwartete, war klar. Ein 50000-Seelen-Kaff, in dem dir an jeder Ecke ein Borracho (Schnapsdrossel) in den Schoß fällt; ich erwartete 24-stündige Spring-Break-Partys zum Sound des Hits »Tequila« (nicht hier entstanden, sondern Mitte der Fünfzigerjahre von der Band »The Champs« in Kalifornien); ich erwartete Schweiß, Sex, zersplitterte Flaschen. Ich fand das komplette Gegenteil.
    Träge und still lag die Plaza der Altstadt in der Mittagshitze; wann immer die Kirchenglocke erklang, ließen die paar Enchiladaverkäufer ihre Teigtaschen fallen und sahen gen Himmel. Ab und zu fuhren Jungs in teuren europäischen Autos vor, aber sie waren keine Drogendealer, sondern einfach nette Jungs, deren höchstmöglicher Rausch ein Tequila-Eis zu sein schien, das sie ab und zu mit ihren Mädchen schleckten. Offensichtlich wollte hier niemand nach Amerika flüchten, so sauber, sicher und voller Arbeitsplätze war es. Andauernd fegte jemand die Plaza Principal. Natürlich gab’s einen Schnaps-Laden nach dem anderen mit Tequila in allen möglichen Formen und Größen – aber nur wenig Bars und kaum einen Betrunkenen! Lag’s vielleicht an den Strommast-Halterungsseilen, die überall auf der Straße gespannt sind und über die man auch nüchtern andauernd stolpert?
    Im Tequila-Museum erzählte mir die Archivarin von der irrsinnig hohen Alkoholismusrate im Rest Mexikos (60 Prozent betrinken sich täglich), die hier deutlich drunterläge. Warum zur Hölle war ich eigentlich gekommen?
    Die Frage machte mich so irre, dass ich in der nächsten Bar, zu der ich viel länger laufen musste als gedacht, sofort den Hausdrink bestellte: den sogenannten »Don Kiko Cantarita«, eine Art ungeeister Margarita. Da ich den Tequila kaum schmeckte, kam relativ schnell gute Laune auf. Vom Schaufenster gegenüber lachte mich ein pinkfarbener Sombrero an. Ich hielt das für die bisher beste Idee und lief rüber.
    »Wie viel, Senorita?«
    »168 Pesos, Hombre.«
    »Nehm’ ich!«
    Sofort setzte ich den Hut auf. Er passte perfekt, auch die Menschen nahmen mich besser wahr jetzt, ich merkte es sofort. Nicht unmöglich übrigens, dass es sich um den einzigen rosa Sombrero in ganz Mexiko handelte.
    Eine Mariachi-Band kam vorbei, sie wirkte ausgelaugt und müde.
    »Hey Amigos, wie gefällt euch mein Hut?«
    »Bisschen schwul vielleicht, aber sonst ganz gut.«
    »Trinken wir was?«
    »Och nö. Aber für hundert Pesos spiel ich dir drei traurige Liebeslieder.«
    »Och nö. Sag mir lieber, was mit diesem Ort los ist. Warum trinkt hier keiner? Ihr sitzt doch nicht nur a n, sondern praktisch i n der Quelle!«
    »Geh zu Don Javier«, sagte die Band und ging schlafen.
    Dort, bei Don Javier, dem Tequila-Paten, bin ich jetzt, im La Capilla, der ältesten Bar des Dorfs. Und nachdem Don Javier erst ein paar Minuten brauchte, um meinen Hut zu verdauen, schenkt er mir jetzt endlich fein was ein. Zuerst einen

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