Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
kurzer Suche und nahm es an sich, während Walter das Pferd einfing.
Sie mussten jederzeit mit einem weiteren Boten des Grafen rechnen und waren darauf gefasst, ihr Opfer schleunigst ins Gebüsch zu ziehen und ihm den Mund zuzuhalten. William lauschte angestrengt, doch es war nichts zu hören.
Sie banden Gilbert auf den Rücken seines Pferdes und begaben sich zu der Lichtung, auf der William ihre eigenen Tiere angebunden hatte. Die Rösser rochen das Blut, das aus der Wunde des Neuankömmlings sickerte, und wurden so unruhig, dass William nichts anderes übrig blieb, als Gilberts Pferd in einiger Entfernung von den anderen festzubinden.
Dann sah er sich nach einem Baum um, der für die Ausführung seines Plans geeignet war. Seine Wahl fiel auf eine Ulme mit einem kräftigen Seitenast in acht oder neun Fuß Höhe. Er zeigte sie Walter und sagte: »Wir hängen Gilbert jetzt an diesen Ast.«
Walter grinste in lustvoller Vorfreude. »Was habt Ihr mit ihm vor, Herr?«, fragte er.
»Das wirst du gleich sehen.«
Gilberts wettergegerbtes Gesicht war totenbleich vor Furcht. William zog ein Seil unter seinen Achseln durch, band es auf dem Rücken zusammen und warf das freie Ende über den Ast.
»Heb ihn jetzt hoch!«, sagte er zu Walter, und dieser tat, wie ihm geheißen. William warf das freie Ende des Seils noch mehrere Male über den Ast und zog es dann fest. Walter ließ los, und Gilbert baumelte am Seil, die Fußspitzen etwa schritthoch über dem Boden.
»Geh jetzt und sammle Brennholz!«, befahl William seinem Begleiter.
Sie schichteten die Reiser unter Gilbert zu einem Stoß auf, und William entzündete sie mit Hilfe eines Feuersteins. Kurz darauf züngelten die ersten Flammen hoch, und die entstehende Hitze weckte Gilbert aus seinem Dämmerzustand.
Als er erkannte, was seine Peiniger mit ihm vorhatten, stöhnte er entsetzt auf. »Bitte!«, flehte er. »Bitte lasst mich wieder runter. Es tut mir leid, dass ich Euch ausgelacht habe. Bitte habt Gnade mit mir!«
William sagte kein Wort. Gilberts Unterwürfigkeit tat ihm wohl, doch war sie nicht der Zweck der Übung.
Als die Hitze Gilberts nackte Zehen erreichte, winkelte er die Knie an. Sein Gesicht war schweißüberströmt. In der Luft hing ein leichter Geruch nach angesengtem Stoff, denn die Hitze erfasste auch die Kleider.
Ich glaube, es ist an der Zeit, mit dem Verhör zu beginnen, dachte William und sagte: »Warum warst du heute auf der Burg?«
Gilbert starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an: »Um dem Grafen meine Aufwartung zu machen«, sagte er. »Was ist daran so schlimm?«
»Warum hast du dem Grafen deine Aufwartung gemacht?«
»Der Graf ist gerade aus der Normandie zurückgekehrt.«
»Du bist nicht ausdrücklich zu ihm gerufen worden?«
»Nein.«
Kann sein, dass er recht hat, dachte William. So ein Verhör ist gar nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt habe …
»Was hat der Graf zu dir gesagt, als du zu ihm vorgelassen wurdest?«
»Er hat mich begrüßt und mir für meinen Willkommensgruß gedankt.«
»Was noch?«
»Er hat sich nach meiner Familie und nach meinem Heimatdorf erkundigt.«
»Sonst noch was?«
»Nein.«
»Was hat er dir von König Stephan und Kaiserin Mathilde erzählt?«
»Nichts! Ich versichere es Euch!«
Gilbert konnte die Knie nicht länger anziehen, und die Füße sackten zurück in die höher schlagenden Flammen. Er stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus, und sein Körper zog sich krampfhaft zusammen. Die Füße entkamen dadurch für einen Augenblick dem Feuer, und Gilbert erkannte, dass er die Schmerzen, indem er seinen Körper in schwingende Bewegungen versetzte, ein wenig lindern konnte. Er schrie jedoch jedes Mal auf, wenn er beim Zurückpendeln unweigerlich wieder in die Flammen geriet.
Ob er die Wahrheit sagt, fragte sich William einmal mehr. Wie lässt sich das herausfinden? Irgendwann ist er wahrscheinlich so weit, dass er alles zugibt, was ich ihm in den Mund lege. Ich darf ihm nicht zu deutlich sagen, was ich von ihm hören will … Er begann, sich Sorgen zu machen. Wer hätte gedacht, dass Foltern ein so schwieriges Geschäft ist, dachte er.
Ruhig, fast im Plauderton, stellte er die nächste Frage. »Wo willst du jetzt hin?«
Gilbert kreischte vor Schmerzen und Seelenqual. »Was spielt denn das für eine Rolle?«
»Wo willst du hin?«
»Nach Hause!«
Der Mann war fast am Ende. William wusste, wo Gilbert zu Hause war – in einem Dorf im Norden. Sie hatten ihn aber auf dem Weg nach
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