Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
abliefern, sagte er sich. Die Sache ist zu wichtig, als dass sie wegen eines Weibes Aufschub duldet. Es hilft nichts, ich muss noch eine Weile darben.
Da standen sie vor ihm, diese fünf zerlumpten Hungerleider, und waren allesamt dazu bereit, den Kampf gegen zwei wohlgenährte und mit Schwertern bewaffnete Reiter aufzunehmen. William konnte diese Leute einfach nicht verstehen. »Gut, wenn ihr wollt – dann verhungert eben«, sagte er, trat seinem Pferd in die Flanken und ritt weiter. Kurze Zeit später war die Familie außer Sicht.
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Ungefähr eine Meile hinter dem Ort, an dem sie William Hamleigh begegnet waren, fragte Ellen: »Können wir wieder ein bisschen langsamer gehen?«
Tom merkte erst jetzt, dass er unwillkürlich einen recht strammen Schritt angeschlagen hatte, und er gestand sich ein, dass Angst dahintersteckte. Hatte es doch kurzzeitig so ausgesehen, als müssten er und Alfred sich mit zwei bewaffneten Reitern schlagen … Dabei hatte er nicht einmal mehr eine Waffe. Er hatte unter dem Mantel nach seinem Maurerhammer getastet, nur um schmerzlich daran erinnert zu werden, dass er das gute Stück schon Wochen zuvor gegen einen Sack Haferflocken eingetauscht hatte. Warum William schließlich nachgegeben hatte, war ihm unklar. Auf jeden Fall wollte Tom den Abstand zu ihm so schnell wie möglich vergrößern – wer vermochte schon zu sagen, ob sich der Bösewicht nicht noch anders besann?
Tom hatte am Palast des Bischofs von Kingsbridge ebenso wenig Arbeit gefunden wie überall sonst, wo er es versucht hatte. Schließlich hatte er von einem Steinbruch in der Nähe von Shiring gehört. In Steinbrüchen wurde – anders als auf Baustellen – die Zahl der Beschäftigten im Winter nicht verringert. Gewiss, von seinem Können und seiner Ausbildung her war Tom andere und besser bezahlte Arbeiten gewohnt als die Steinhauerei – aber das kümmerte ihn längst nicht mehr. Er wollte seine Familie ernähren, das war alles. Der Steinbruch bei Shiring gehörte Graf Bartholomäus, der, wie Tom erfahren hatte, auf einer Burg einige Meilen westlich der Stadt lebte.
Seine Lage war, seit Ellen ihn begleitete, noch verzweifelter als zuvor. Er wusste, dass sie sich aus Liebe – und ohne die möglichen Folgen zu bedenken – dazu entschlossen hatte, ihr Schicksal mit ihm zu teilen. Vor allem besaß sie keine klare Vorstellung davon, wie schwer es für Tom war, Arbeit zu finden, und hatte sich daher auch niemals ernsthaft mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dass sie den Winter vielleicht nicht überleben würden. Tom seinerseits, der sie nicht mehr verlieren wollte, hatte es nicht über sich gebracht, ihr reinen Wein einzuschenken – eine Frau war imstande, wenn die Lage kritisch wurde, das Wohl ihres Kindes über alles zu stellen. Er fürchtete, Ellen könnte ihn wieder verlassen.
Eine Woche lang waren sie jetzt zusammen: sieben verzweifelte Tage und sieben wundervolle Nächte. Wenn Tom des Morgens erwachte, war er glücklich und sah die Zukunft in rosigem Licht. Mit fortschreitendem Tag kam dann der Hunger, die Kinder wurden müde, und Ellens Stimmung erreichte einen Tiefpunkt. An manchen Tagen – zum Beispiel als ihnen der Mönch mit dem Käse begegnete – bekamen sie etwas zu essen, an anderen mussten sie sich mit sonnengetrockneten Rindfleischstreifen aus Ellens Notvorrat zufriedengeben. Die waren zäh wie Hirschleder und schmeckten auch nicht viel anders, doch das war immer noch besser als gar nichts. Abends aber, wenn es dunkel wurde und sie sich niederlegten, elend und kalt, und sich aneinanderkuschelten, um sich gegenseitig zu wärmen, dann dauerte es nicht lange, und sie fingen an sich zu streicheln und zu küssen. Anfangs wollte Tom immer gleich zu ihr kommen. Ellen wies ihn jedoch sanft zurück: Sie wollte mehr Küsse und ein viel längeres Vorspiel. Tom ging auf ihre Wünsche ein – und war begeistert. Kühn erforschte er ihren Körper und liebkoste ihn an Stellen, an denen er Agnes nie berührt hatte. Er streichelte und küsste ihre Ohren, ihre Achselhöhlen und die Spalte zwischen ihren Hinterbacken. In manchen Nächten steckten sie die Köpfe unter der Decke zusammen und kicherten ausgelassen, dann wieder beschenkten sie einander mit reiner Zärtlichkeit. Einmal – sie nächtigten allein im Gästehaus eines Klosters, und die Kinder schliefen den Schlaf der Erschöpften – übernahm Ellen die Führung. So zeigte sie ihm, wie er sie mit seinen Fingern erregen konnte, und er folgte
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