Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
ihren Anweisungen bereitwillig, von ihrer Schamlosigkeit gleichermaßen verwirrt wie entflammt. War es dann vorbei, versanken sie in einen tiefen, erholsamen Schlaf; die Liebe hatte allen Kummer und Ärger des Tages hinweggespült.
Es war jetzt Mittag. William Hamleigh dürfte jetzt weit genug fort sein, dachte Tom und beschloss, eine Rast einzulegen.
Wieder hatten sie nur Trockenfleisch zu essen. Am Morgen erst war es ihnen gelungen, bei einem einsam gelegenen Bauernhof ein wenig Brot zu erbetteln. Die Bäuerin hatte ihnen darüber hinaus in einer großen Holzflasche ohne Stöpsel etwas Bier mitgegeben und ihnen erlaubt, die Flasche zu behalten. Ellen hatte die Hälfte des Inhalts für das Mittagessen aufbewahrt.
Tom ließ sich auf dem Rand eines uralten Baumstumpfs nieder, und Ellen setzte sich neben ihn. Sie nahm einen kräftigen Schluck Bier zu sich und reichte die Flasche an Tom weiter.
»Möchtest du auch etwas Fleisch?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf und trank. Es wäre ihm nicht schwergefallen, die Flasche auszutrinken, doch bezwang er sich und ließ noch etwas für die Kinder übrig. »Bewahr das Fleisch lieber auf«, sagte er zu Ellen. »Vielleicht bekommen wir heute Abend auf der Burg was zu essen.«
Alfred setzte die Flasche an die Lippen und leerte sie in einem Zug.
Jack wirkte erschrocken und enttäuscht, und Martha brach in Tränen aus. Alfred grinste dämlich.
Ellen sah Tom an. Als er nicht reagierte, sagte sie: »Das solltest du ihm eigentlich nicht durchgehen lassen.«
Tom zuckte mit den Schultern. »Er ist größer als die anderen beiden. Er braucht auch mehr.«
»Er bekommt sowieso immer das meiste. Die Kleinen brauchen wenigstens etwas .«
»Die Kinder sollen ihre Streitigkeiten unter sich austragen. Es ist Zeitverschwendung, sich da einzumischen.«
Ellens Stimme wurde hart. »Soll das heißen, dass Alfred die beiden Jüngeren nach Belieben schikanieren kann, ohne dass du dagegen einschreitest?«
»Er schikaniert sie nicht. Kinder zanken sich andauernd.«
Ellen schüttelte den Kopf. Sie war offenbar ganz durcheinander. »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Du bist ein rundum netter und verständiger Mann – nur wenn es um Alfred geht, bist du blind!«
Jetzt übertreibt sie aber, dachte Tom. Um sie nicht noch weiter gegen ihn aufzubringen, sagte er: »Gib den Kleinen eben ein bisschen Fleisch.«
Ellen öffnete ihre Tasche. Sie war noch immer eingeschnappt. Sowohl für Martha als auch für Jack schnitt sie einen Streifen Trockenfleisch ab, aber die ausgestreckte Hand Alfreds ignorierte sie geflissentlich. Tom fand das nicht recht. Sie hätte ihm ruhig etwas geben können, dachte er. Alfred ist kein schlechter Kerl; Ellen versteht ihn bloß nicht. Er ist ein großer Junge, auf den ich stolz sein kann. Er hat einen großen Appetit und ein hitziges Gemüt – aber wenn das eine Sünde ist, dann fällt jeder zweite junge Mann seines Alters der Verdammnis anheim …
Sie ruhten sich noch eine Weile aus und machten sich dann wieder auf den Weg. Jack und Martha gingen voran; sie kauten noch immer auf dem ledrigen Fleisch herum. Die beiden kamen trotz des Altersunterschiedes – Martha war sieben und Jack vielleicht elf oder zwölf – recht gut miteinander aus. Martha war von Jack ganz hingerissen – und Jack genoss die für ihn völlig neue Erfahrung, eine Spielgefährtin zu haben. Ein Jammer, dass Alfred Jack nicht mochte! Alfred war natürlich der Stärkere, aber der kleine Jack war ein heller Bursche.
Tom wollte sich nicht länger darüber den Kopf zerbrechen. Er hatte weiß Gott andere Sorgen, als sich mit den Kabbeleien der Kinder zu belasten. Insgeheim fragte er sich manchmal schon, ob er überhaupt je wieder Arbeit finden würde. Vielleicht müssen wir ewig so weiterwandern, tagein, tagaus, bis wir nacheinander tot umfallen: An einem frostigen Morgen liegt ein Kind vor mir, kalt und leblos. Das andere hat nicht mehr die Kraft, ein plötzliches Fieber zu überstehen. Ellen geschändet und ermordet von einem zufällig des Weges kommenden Schuft wie William Hamleigh … Und ich – ich werde dünner und dünner, bis ich eines Morgens zu schwach bin, um auf die Beine zu kommen, und einfach im Wald liegen bleibe und langsam das Bewusstsein verliere …
Bevor es so weit käme, dies war ihm klar, hätte Ellen ihn längst verlassen. Sie würde rechtzeitig in ihre Höhle zurückkehren, wo immerhin noch ein Fass Äpfel und ein Sack Nüsse standen, die ausreichten,
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