Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Cuthbert.
»Ja, bitte«, antworteten sie einstimmig. Tom sah Ellen an und wusste, dass sie wie er tiefe Dankbarkeit darüber empfand, dass die Kinder endlich wieder etwas in den Magen bekamen.
Ein zweites Mal schöpfte Cuthbert Milch in die Schüsselchen.
Beiläufig fragte er: »Sagt, Freunde, wo kommt Ihr denn her?«
»Von Earlscastle bei Shiring«, erwiderte Tom. »Gestern Morgen sind wir dort aufgebrochen.«
»Habt Ihr seitdem schon etwas gegessen?«
»Nein«, antwortete Tom ohne Umschweife. Obwohl er wusste, dass Cuthbert es gut mit ihnen meinte, fiel ihm das Eingeständnis, dass er die Kinder nicht hatte ernähren können, schwer.
»Dann nehmt Euch fürs Erste ein paar Äpfel«, sagte Cuthbert und deutete auf das Fass neben der Tür. »Damit Ihr bis zum Abendessen durchhaltet.«
Während Martha und Jack ihre zweite Portion Milch tranken, begaben sich Alfred, Ellen und Tom zum Apfelfass. Alfred langte kräftig zu und wollte einen ganzen Armvoll davontragen, doch Tom schlug ihm die Äpfel aus der Hand und raunte ihm zu: »Nicht mehr als zwei oder drei, hast du mich verstanden?« Alfred nahm drei.
Tom ließ sich die Äpfel schmecken, und sein Magen beruhigte sich ein wenig. Trotzdem konnte er nicht umhin, sich insgeheim zu fragen, wie lange es noch hin war bis zum Abendessen. Als ihm einfiel, dass Mönche, um Kerzenlicht zu sparen, gemeinhin vor Einbruch der Dunkelheit zu speisen pflegten, war er glücklich.
Cuthbert sah Ellen kritisch an. »Kenne ich Euch?«, fragte er nach einer Weile.
Ihr war unbehaglich zumute. »Nicht, dass ich wüsste«, sagte sie.
»Ihr kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Ich habe meine Kindheit hier in der Gegend verbracht.«
»Ach so, das wird’s wohl sein«, sagte Cuthbert. »Deswegen habe ich das Gefühl, Ihr seid älter, als Ihr sein solltet.«
»Ihr müsst ein sehr gutes Gedächtnis haben.«
Er runzelte die Stirn. »Es könnte besser sein. Da war doch noch etwas anderes … Ich bin mir ganz sicher … Aber sei’s drum. Warum habt Ihr Earlscastle verlassen?«
»Die Burg wurde gestern früh im Morgengrauen angegriffen und erobert«, berichtete Tom. »Graf Bartholomäus wird des Hochverrats bezichtigt.«
»Die Heiligen stehen uns bei!«, rief Cuthbert bestürzt aus und sah auf einmal aus wie eine alte Jungfer, die sich vor einem Stier fürchtet. »Des Hochverrats!«
Von draußen näherten sich Schritte. Tom drehte sich um und sah einen weiteren Mönch eintreten. »Das ist unser neuer Prior«, sagte Cuthbert.
Tom erkannte den Mann sofort. Es war Philip, der Mönch, der ihnen unterwegs begegnet war und ihnen den köstlichen Käse gegeben hatte. Auf einmal war ihm alles klar: Der neue Prior von Kingsbridge war zuvor Prior des kleinen Waldklosters gewesen und hatte Jonathan bei seiner Übersiedlung mitgenommen!
Welch glückliche Fügung des Schicksals! Philip war ein freundlicher Mann. Er hat mich von Anfang an gemocht und mir vertraut, dachte Tom bei sich. Er wird mir gewiss eine Arbeit geben …
Auch Philip erkannte ihn auf Anhieb. »Seid gegrüßt, Baumeister«, sagte er. »Da war’s wohl nichts mit Arbeit am bischöflichen Palast, wie?«
»Nein, Vater. Der Erzdiakon wollte mir keine Arbeit geben. Der Bischof selbst war gar nicht da.«
»Da habt Ihr wohl recht«, erwiderte Philip. »Der Bischof war bereits im Himmel. Wir wussten das damals freilich noch nicht.«
»Der Bischof ist tot?«
»Jawohl.«
»Das ist doch ein alter Hut!«, fuhr Cuthbert ungeduldig dazwischen. »Tom und seine Familie kommen gerade aus Earlscastle. Die Burg wurde erobert – und Graf Bartholomäus gefangen genommen!«
Philip blieb unbewegt. »Schon …«, murmelte er vor sich hin.
»Schon?«, wiederholte Cuthbert. »Wieso sagst du ›schon‹?« Der Cellerar schien den jungen Prior zu mögen, war aber auf der Hut – wie ein Vater, dessen Sohn aus dem Krieg heimkehrt und nicht nur ein scharfes Schwert im Gürtel trägt, sondern einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. »Hast du gewusst, was da im Busch war?«
Philip war ein wenig durcheinander. »Nein, nein, nicht genau«, wiegelte er ab. »Mir kam nur gerüchteweise zu Ohren, dass Bartholomäus mit Stephans Krönung nicht einverstanden war.« Er hatte sich wieder gefangen. »Wie dem auch sei, wir können nur dankbar sein. Stephan hat versprochen, die Rechte der Kirche zu achten. Mathilde dagegen hätte uns vermutlich genauso unterdrückt wie einst ihr verstorbener Vater. Ihr bringt gute Botschaft, Baumeister, in der Tat.« Der
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