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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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finden musste.
    Sie verbrachten den Nachmittag im Gästehaus des Klosters. Es war ein schmuckloses Gebäude mit einem einzigen Raum. In der Mitte befand sich eine Feuerstelle, und der Boden bestand aus gestampfter Erde. In nichts unterschied sich das Gästehaus von einem einfachen Bauernhof, doch Jack, der sein Leben lang in einer Höhle gewohnt hatte, fand es wunderbar. Er wollte wissen, wie man ein solches Haus errichtete, und Tom gab ihm bereitwillig Auskunft. Zunächst, so erklärte er ihm, müsse man zwei junge Bäume fällen, sie entasten, in einem rechten Winkel aneinanderlehnen und dasselbe vier Schritt weiter wiederholen. Die beiden auf diese Weise entstandenen Dreiecke gelte es, durch einen Firstbalken miteinander zu verbinden. Parallel dazu würden leichte Äste oder Holzleisten an den jeweils gegenüberstehenden Stämmen befestigt, sodass schließlich ein beidseitig bis auf den Erdboden reichendes, schräges Dach entstünde. Das Dach müsse dann mit rechtwinkligen Rahmen aus geflochtenem Dachdeckerstroh bedeckt und mit Lehm wasserdicht gemacht werden. Die Giebelwände bestünden aus in den Boden gerammten Pfählen; die Ritzen und Spalten dazwischen würden mit Lehm verschmiert. Die Tür komme in eine der beiden Giebelwände. Fenster gäbe es keine.
    Jacks Mutter streute frisches Stroh auf dem Boden aus, und Jack entzündete ein Feuer mit Hilfe des Feuersteins, den er stets bei sich führte. Als die anderen außer Hörweite waren, fragte er seine Mutter, warum der Prior Tom nicht anstellen wolle, obwohl es doch genug zu tun gebe. »Solange die Kirche noch benutzbar ist, will er wohl Geld sparen«, antwortete Ellen. »Wäre die ganze Kirche eingestürzt, so bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als sie wieder aufzubauen – aber mit dem eingefallenen Turm können sie leben …«
    In der Abenddämmerung kam ein Küchenjunge und brachte den Gästen einen Kessel voll Eintopf und einen Laib Brot, der so lang war wie ein ausgewachsener Mann groß – und das alles für sie allein! Der Eintopf bestand aus Gemüse, Kräutern und Suppenknochen mit viel Fleisch, und obenauf schillerten die Fettaugen. Das Brot war sogenanntes Pferdebrot; es setzte sich zusammen aus den verschiedensten Getreidesorten wie Roggen, Gerste und Hafer, enthielt aber auch getrocknete Erbsen und Bohnen. »Das ist das billigste Brot, das es gibt«, sagte Alfred. Jack, der vor ein paar Tagen zum ersten Mal in seinem Leben Brot gegessen hatte, fand es großartig. Er aß und aß, bis ihm der Bauch wehtat. Alfred aß, bis nichts mehr übrig war.
    Danach saßen sie am Feuer und versuchten, das ungewohnte Festmahl zu verdauen. »Warum ist der Kirchturm eigentlich eingestürzt?«, fragte Jack.
    »Wahrscheinlich hat der Blitz eingeschlagen«, antwortete Alfred. »Oder es war ein Feuer.«
    »Aber der Turm besteht doch nur aus Steinen«, sagte Jack. »Die brennen doch gar nicht.«
    »Das Dach ist nicht aus Stein, du Dummkopf«, sagte Alfred voller Verachtung. »Das Dach besteht aus Holz.«
    Jack dachte einen Augenblick nach. »Wenn das Dach brennt – stürzt dann immer gleich das ganze Gebäude ein?«
    Alfred zuckte mit den Schultern. »Manchmal jedenfalls.«
    Eine Weile lang sprach keiner von beiden ein Wort. Tom und Ellen, die auf der anderen Seite der Feuerstelle saßen, unterhielten sich in gedämpftem Ton.
    Plötzlich sagte Jack unvermittelt: »Ist das nicht komisch mit dem Kind?«
    »Was ist komisch?«, fragte Alfred nach einer Pause.
    »Na ja, euer Kind ist damals im Wald verloren gegangen, viele Meilen von hier. Und nun ist da plötzlich ein kleines Kind hier im Kloster.«
    Weder Alfred noch Martha schien dieser Zufall besonders bemerkenswert, sodass auch Jack nicht weiter darüber nachdachte.
    Die Mönche begaben sich sofort nach dem Abendessen zur Ruhe. Gästen niederen Standes wurden keine Kerzen zur Verfügung gestellt. Tom und seine Familie blieben daher noch eine Weile beim langsam ersterbenden Feuer sitzen und legten sich dann ins Stroh.
    Jack konnte lange nicht einschlafen. Er dachte nach. Wenn heute Nacht die Kathedrale niederbrennt, sind alle unsere Sorgen mit einem Schlag beseitigt, sagte er sich. Der Prior wird Tom mit dem Neubau der Kirche beauftragen. Wir könnten alle hier in diesem schönen Haus wohnen bleiben, und jeden Tag gäbe es Eintopf mit Fleisch und Pferdebrot … Wenn ich Tom wäre, würde ich die Kirche selbst anzünden. Ich würde warten, bis alle eingeschlafen sind, und dann heimlich in die Kirche schleichen

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