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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Nonnen hasste, die Heiligen verachtete und prinzipiell nichts glaubte, was ihr über Gott erzählt wurde. Doch sie lernte Lesen und Schreiben, Musizieren und Rechnen, Zeichnen und Latein (in ihrem Vaterhaus hatte man Englisch und Französisch gesprochen).
    Das Klosterleben erwies sich schließlich als gar nicht so übel. Es war eine reine Frauengesellschaft mit eigenen Regeln und Ritualen – anders zwar, aber in vielfacher Hinsicht ähnlich der vertrauten Männergesellschaft daheim. Alle Nonnen mussten ein gewisses Pensum an körperlicher Arbeit leisten. Ellen wurde schon bald mit der Pferdepflege betraut und brachte es binnen kurzem zur Stallmeisterin.
    Armut war nie ein Problem für sie. Gehorsam fiel ihr schon erheblich schwerer, aber sie lernte ihn mit der Zeit. Das dritte Gelübde, die Keuschheit, nahm sie weniger ernst, und es kam hin und wieder durchaus vor, dass sie – allein schon, um der Äbtissin zu trotzen – die eine oder andere Novizin einweihte in die Freuden der …
    An dieser Stelle unterbrach Agnes Ellens Erzählung. Sie nahm Martha bei der Hand und zog sie fort, um ihr irgendwo an einem Wasserlauf das Gesicht zu waschen und ihr Kleid zu reinigen. Zu ihrem Schutz nahm sie auch Alfred mit, obgleich sie versprach, in Rufweite zu bleiben. Selbst Jack erhob sich und traf Anstalten, ihr zu folgen, doch Agnes wollte ihn nicht dabeihaben und sagte es ihm deutlich. Jack schien sie zu verstehen, denn er setzte sich sofort wieder hin. Tom war klar, dass es seiner Frau einerseits darum ging, ihren Kindern den Fortgang dieser ebenso gottlosen wie unzüchtigen Geschichte vorzuenthalten – und dass sie ihn andererseits nicht mit Ellen allein lassen wollte.
    Eines Tages, fuhr Ellen fort, hatte der Zelter der Äbtissin gelahmt. Es geschah einige Tagesreisen vom Kloster entfernt. Da sie sich unweit der Abtei von Kingsbridge befand, lieh sich die Äbtissin vom dortigen Prior ein anderes Pferd. Nach ihrer Rückkehr befahl sie Ellen, das geborgte Pferd heimzuführen und dann den lahmen Zelter zurückzubringen.
    Im Pferdestall des Klosters, in Sichtweite der verfallenden alten Kathedrale von Kingsbridge, begegnete Ellen einem jungen Mann, der aussah wie ein geprügelter kleiner Hund. Er hatte die tapsige Anmut und witternde Wachsamkeit eines Welpen, wirkte jedoch schüchtern und verschreckt, als ob man ihm all seine Verspieltheit mit Prügeln ausgetrieben hätte. Als sie ihn ansprach, verstand er sie nicht. Sie versuchte es mit Latein, doch er war kein Mönch. Schließlich sagte sie ein paar Worte auf französisch, da strahlte er sie freudig an und antwortete in derselben Sprache.
    Ellen kehrte nie wieder in das Nonnenkloster zurück und lebte seither im Wald. Anfangs hauste sie in einem primitiven Unterschlupf aus Laub und Zweigen, später fand sie eine trockene Höhle. Ellen hatte die männlichen Fertigkeiten, die sie im Hause ihres Vaters gelernt hatte, nicht vergessen: Sie wusste, wie man Rehe erlegte, konnte Kaninchenfallen bauen und Schwäne mit Pfeil und Bogen zur Strecke bringen. Sie konnte das gejagte Wild ausnehmen und das Fleisch kochen, ja sie verstand sich sogar aufs Säubern und Gerben der Felle und stellte daraus ihre Kleidung her. Außer von Wild ernährte sie sich von den Früchten des Waldes, von Nüssen, Kräutern und Wildgemüse. Alles, was sie sonst noch brauchte – Salz, Wollkleidung, ein Beil oder ein neues Messer –, musste sie stehlen.
    Sie brachte Jack zur Welt; das war für sie die schlimmste Zeit …
    Und der Franzose, wollte Tom fragen, was war mit dem? War er Jacks Vater? Und wenn – wann war er gestorben? Und wie? Aber er behielt die Fragen für sich. Er las es ihr am Gesicht ab, dass sie über diesen Teil der Geschichte Stillschweigen bewahren wollte, und zu den Leuten, die sich gegen ihren Willen zu etwas überreden ließen, gehörte diese Frau bestimmt nicht.
    Inzwischen war Ellens Vater gestorben, und seine Gefolgschaft hatte sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Sie hatte nun auf der ganzen Welt keine Verwandten und Freunde mehr. Als sie die Stunde ihrer Niederkunft kommen fühlte, machte sie vor dem Eingang ihrer Höhle ein großes Feuer, das die ganze Nacht über brannte. Sie hatte genug Wasser und Nahrung, Pfeil und Bogen sowie ein Messer zur Abwehr der Wölfe und streunender Hunde lagen griffbereit. Sie besaß sogar einen schweren roten Mantel, den sie einem Bischof gestohlen hatte; in ihn wollte sie den Säugling wickeln. Womit sie nicht gerechnet hatte, waren

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