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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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über ihnen wie ein bleiernes Dach. Ein kalter Wind jagte Regenschauer über das Land. Sie packten ihre dicken, filzigen Winterumhänge aus, legten sie an und schnürten sie unter dem Kinn fest. Zum Schutz gegen die Nässe zogen sie sich die Kapuzen tief ins Gesicht, dann machten sie sich in gedrückter Stimmung auf den Weg – vier schwermütige Gespenster in einem Regensturm. Die Straße war matschig und mit Pfützen übersät; bei jedem Schritt spritzte Wasser unter ihren Holzschuhen auf.
    Tom versuchte sich die Kathedrale von Salisbury vorzustellen. Im Prinzip war ein Dom oder eine Kathedrale das Gleiche wie jede andere Kirche – der Unterschied bestand lediglich darin, dass eine Kathedrale auch Bischofssitz war. In der Praxis allerdings waren Kathedralen die größten, reichsten, erhabensten und vollkommensten Kirchen. Einfache Gewölbe mit Fenstern fand man unter ihnen kaum. In den meisten Fällen bestanden sie vielmehr aus drei Gewölben – einem großen, das die beiden kleineren zu seinen Seiten überragte wie das Haupt eines Menschen seine Schultern. Sie hießen Hauptschiff und Seitenschiffe. Das mittlere Gewölbe besaß keine Seitenwände, sondern ruhte auf Säulen, die durch Bögen miteinander verbunden waren und eine Arkade bildeten. Die Seitenschiffe dienten hauptsächlich zu Prozessionen – in Kathedralen oft sehr eindrucksvolle Ereignisse –, boten aber auch Raum für kleine Seitenkapellen, die bestimmten Heiligen geweiht waren und zusätzliche Spenden einbrachten. Kathedralen waren die kostspieligsten Gebäude der Welt – viel teurer noch als Bischofspaläste oder Burgen –, daher mussten sie entsprechend einträglich sein.
    Salisbury lag näher, als Tom gedacht hatte. Gegen Mittag gelangten sie auf eine kleine Anhöhe, von der sich die Straße in einem langen, weiten Bogen abwärts zog. Jenseits der regengepeitschten Felder erhob sich die Hügelfestung Salisbury aus der Ebene wie ein Boot auf einem See. Der Regenschleier ließ keine Einzelheiten erkennen, doch Tom zählte vier oder fünf Türme, die hoch über die Stadtmauer emporragten. Der Anblick von so viel Mauerwerk ließ das Herz des Steinmetzen höher schlagen.
    Ein eisiger Wind fegte über die Ebene, als sie ihren Weg fortsetzten, und ließ Gesichter und Hände frostkalt werden. Am Fuße des Hügels, zwischen vereinzelten Häusern, die aussahen, als seien sie aus der überquellenden Stadt herausgespült worden, trafen vier Straßen zusammen. Andere Reisende schlossen sich ihnen an. Gesenkten Hauptes und mit hochgezogenen Schultern trotteten die Menschen auf das Osttor zu, um hinter den hohen Mauern Schutz vor den Unbilden des Wetters zu suchen.
    Auf dem steil ansteigenden Wegstück vor dem Tor holten sie einen mit Steinen beladenen Ochsenkarren ein. Tom sah darin ein gutes Zeichen. Der Fuhrmann ging gebeugt hinter dem Gefährt her und half mit der Schulter nach, doch auch so kamen die Ochsen nur sehr langsam voran. Tom erkannte, dass er hier einen Freund gewinnen konnte: Er gab Alfred einen Wink, und gemeinsam stemmten sie sich mit der Schulter gegen den Karren und halfen schieben.
    Wenig später rumpelten die riesigen Holzräder über eine hölzerne Brücke, die einen tiefen und breiten, trockengefallenen Burggraben überspannte. Gewaltige Erdarbeiten waren nötig gewesen, um diesen Graben zu schaffen und mit dem Aushub die Stadtwälle aufzuschütten. Hunderte von Arbeitern mussten daran mitgewirkt haben. Das ist weit mehr Aufwand, dachte Tom, als es zum Ausheben der Fundamente für eine Kathedrale bedarf. Die Brücke knarrte und ächzte unter dem Gewicht des Karrens und der beiden mächtigen Zugtiere.
    Vor dem Tor endete die Steigung, sodass der Ochsenkarren wieder aus eigener Kraft vorankam. Der Fuhrmann richtete sich auf, und Tom und Alfred taten es ihm nach. »Ich danke Euch herzlich«, sagte der Fuhrmann.
    »Wofür sind die Steine eigentlich?«, fragte Tom.
    »Für die neue Kathedrale.«
    »Neu? Ich dachte, die alte würde lediglich erweitert.«
    Der Fuhrmann nickte. »Ja, so hieß es ursprünglich. Aber das ist schon zehn Jahre her. Inzwischen ist mehr neu als alt.«
    Auch das war für Tom eine gute Nachricht. »Wer ist der Dombaumeister?«, fragte er.
    »John von Shaftesbury. Um die Planung kümmert sich allerdings auch Bischof Roger.«
    Das war durchaus nichts Ungewöhnliches. Es kam nur selten vor, dass ein Bischof seinem Baumeister freie Hand ließ; viel öfter mussten die Baumeister die überschäumende Fantasie der

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