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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Der Boden war mit Binsen ausgelegt. Vor dem Feuer saß ein Mann auf einem Stuhl und trank aus einem großen Becher. Er war klein und mager und mochte um die fünfzig sein; er hatte eine rote Nase und lichtes graues Haar. Er trug normale Alltagskleidung, ein schmuddeliges Unterhemd mit einer braunen Tunika und Holzschuhe.
    »Vater Ralph?«, fragte Richard unsicher.
    »Und wenn ich der wäre?«
    Aliena seufzte. Warum nur machten die Leute dauernd Schwierigkeiten, als gäbe es davon nicht schon mehr als genug auf der Welt? Im Augenblick jedoch fehlte ihr die Kraft, sich mit den Launen anderer auseinanderzusetzen, und sie überließ es Richard zu fragen: »Heißt das ja?«
    Die Frage beantwortete sich von selbst. Von draußen rief eine Stimme: »Ralph? Bist du zu Hause?« Gleich darauf kam eine Frau mittleren Alters herein und gab dem Priester einen Kanten Brot und eine große Schale, aus der Fleischgeruch stieg. Zum ersten Mal lief Aliena dabei nicht das Wasser im Mund zusammen: Sie fühlte sich viel zu betäubt, um hungrig zu sein. Die Frau gehörte wohl zu Ralphs Gemeinde, denn ihre Kleidung war von der gleichen Armseligkeit wie seine eigene. Wortlos nahm er ihr das Essen ab und ließ es sich schmecken. Die Frau bedachte die Geschwister mit einem gleichgültigen Blick und ging wieder hinaus.
    »Nun, Vater Ralph«, sagte Richard, »ich bin der Sohn von Bartholomäus, dem ehemaligen Grafen von Shiring.«
    Der Mann hielt inne und sah von seinem Essen auf. Aus seinem Gesicht sprach Feindseligkeit – und noch etwas, das Aliena nicht deuten konnte. Empfand er Furcht? Schuldgefühle? Er wandte sich wieder seiner Schüssel zu, murmelte aber: »Was wollt ihr von mir?«
    Aliena wurde mulmig zumute.
    »Du weißt genau, was ich will«, gab Richard zurück. »Mein Geld, die fünfzig Byzantiner.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Ralph.
    Aliena starrte ihn ungläubig an. Das darf doch nicht wahr sein, dachte sie. Vater hat bei diesem Priester Geld für uns hinterlegt – das hat er uns selbst erzählt! Und in solchen Sachen irrt er sich nie.
    Richard war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Wie meinst du das?«
    »Genauso, wie ich’s sage: Ich weiß nicht, wovon du redest. Und jetzt raus mit euch.« Er löffelte wieder seinen Eintopf.
    Der Kerl log natürlich; aber was war dagegen zu machen? Richard ließ nicht locker: »Mein Vater hat Geld bei dir hinterlegt – fünfzig Byzantiner. Und er hat dich angewiesen, es mir zu geben. Wo hast du es gelassen?«
    »Dein Vater hat mir gar nichts gegeben.«
    »Er hat aber gesagt, dass …«
    »Dann hat er gelogen.«
    Das hatte Vater ganz bestimmt nicht! Aliena ergriff zum ersten Mal das Wort. »Wir wissen, dass du lügst.«
    Ralph zuckte die Achseln. »Ihr könnt euch ja beim Vogt beschweren.«
    »Das könnte aber unangenehm für dich werden. In dieser Stadt hackt man Dieben die Hände ab.«
    Ein Anflug von Angst machte sich auf seinem Gesicht breit, verflüchtigte sich aber sofort wieder, und er gab herausfordernd zurück: »Dann steht mein Wort gegen das eines eingekerkerten Verräters – falls euer Vater überhaupt lange genug lebt, um seine Aussage machen zu können.«
    Er hat recht, dachte Aliena. Es gibt keinen einzigen Zeugen dafür, denn das Geld war Vaters Geheimnis – er wollte vermeiden, dass es dem König in die Hände fällt oder diesem Percy Hamleigh oder irgendwelchen anderen Aasgeiern, die sich um den Besitz eines in Ungnade Gefallenen scharen. Hier herrschen die gleichen Gesetze wie im Wald, erkannte sie voll Bitterkeit. Die Kinder eines eingekerkerten Adeligen darf man offenbar ungestraft ausplündern. Wieso habe ich eigentlich vor diesen Unmenschen Angst, fragte sie sich zornig. Wieso haben die keine Angst vor mir?
    Richard sah sie an und flüsterte ihr zu: »Er hat recht, oder?«
    »Ja«, erwiderte sie Gift und Galle spuckend. »Es hat gar keinen Zweck, dass wir uns beim Vogt beschweren.«
    Ihr fiel wieder ein, wie sie ein einziges Mal jemandem Angst eingeflößt hatte: damals im Wald, als sie den fetten Banditen erstach und sein Komplize wie von Hunden gehetzt davonrannte. Dieser Priester ist keinen Deut besser als die Verfemten, dachte sie. Und er ist alt und schwach. Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass wir jemals bei ihm auftauchen. Vielleicht lässt er sich doch noch einschüchtern?
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Richard.
    Aliena folgte einer plötzlichen Eingebung. »Sein Haus niederbrennen«, sagte sie wütend. Im Nu

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