Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
stand sie vor dem Feuer und trat mit ihren Holzschuhen nach den brennenden Scheiten, sodass sie nach allen Seiten flogen. Die Binsen um den Feuerplatz gingen sofort in Flammen auf.
»He!«, brüllte Ralph. Er wollte aufstehen, doch dabei entglitt ihm das Brot, und der Eintopf ergoss sich über seinen Schoß, und bevor er noch richtig stand, hatte sich auch schon Aliena auf ihn gestürzt. Sie versetzte ihm einen Stoß, sodass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Aliena, die blindwütig und ohne nachzudenken gehandelt hatte, beflügelte der Erfolg ihres Angriffs noch. Sofort warf sie sich über ihn, landete mit den Knien auf seiner Brust und schnürte ihm den Atem ab. Ihre Wut stieg ins Unermessliche, und sie schrie ihm direkt ins Gesicht: »Du verlogener, diebischer, gottloser Heide, dich lass ich bei lebendigem Leib verbrennen!«
Er wandte die Augen ab – und verzog vor Entsetzen das Gesicht. Aliena, die seinem Blick folgte, sah, dass Richard sein Schwert gezogen und angriffsbereit erhoben hatte. Das schmutzige Gesicht des Priesters war ganz blass geworden, und er flüsterte: »Du bist des Teufels!«
»Und du bestiehlst arme Kinder!« Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen langen Scheit, dessen eines Ende lichterloh brannte. Sie ergriff ihn beim anderen Ende und hielt dem Priester die brennende Seite vors Gesicht. »Jetzt brenn ich dir die Augen aus, eins nach dem anderen. Erst das linke …«
»Nein, bitte nicht«, wisperte er. »Tu mir nicht weh.«
Aliena konnte kaum fassen, wie schnell er klein beigab. Dann fiel ihr auf, dass die Binsen um sie herum alle Feuer gefangen hatten. »Wo ist das Geld?«, fragte sie ihn plötzlich wieder in ihrem normalen Tonfall.
Dem Priester saß noch immer der Schreck in allen Gliedern. »In der Kirche.«
»Wo in der Kirche?«
»Unter dem Stein hinter dem Altar.«
Aliena sah Richard an. »Du bewachst ihn, während ich gehe und nachschaue«, befahl sie ihm. »Wenn er sich rührt, bringst du ihn um.«
»Allie«, sagte Richard, »bis du zurückkommst, wird das Haus abgebrannt sein.«
Aliena sah sich kurz um, ging zu dem Bierfass und hob den Deckel. Es war noch halb voll. Sie packte es am Rand und kippte es um. Das Bier ergoss sich über den Boden, tränkte die Binsen und erstickte die Flammen.
Aliena verließ die Hütte. Sie wusste, dass sie ihre Drohung, dem Priester die Augen auszubrennen, wahr gemacht hätte; doch statt sich dessen zu schämen, empfand sie ein geradezu überwältigendes Machtgefühl. Sie hatte beschlossen, sich nicht mehr unterkriegen zu lassen, und sie hatte diesen Entschluss gleich in die Tat umgesetzt. Die Kirche besaß nur einen Eingang, der durch ein kleines Schloss gesichert war. Aliena hätte durchaus zurückgehen und den Schlüssel holen können, aber sie zog ihren Dolch aus dem Ärmel, schob die Klinge in die Türritze und brach das Schloss auf. Die Tür flog auf, und sie trat ein.
Die Kirche war wahrhaft erbärmlich. Außer dem Altar gab es praktisch nichts darin, und ihr einziger Schmuck bestand aus wenigen unbeholfenen Malereien auf den gekalkten Holzwänden. Es gab nur eine einzige Kerze, die in einer Ecke stand und mit ihrer flackernden Flamme ein geschnitztes Bildnis beleuchtete, das vermutlich den heiligen Michael darstellte. Die Einsicht, dass fünf Pfund Silber für einen so armen Mann wie Vater Ralph eine beinahe unüberwindliche Versuchung sein mussten, schmälerte Alienas Triumph vorübergehend ein wenig, doch in ihrer Lage verbot sich jegliches Mitgefühl von selbst.
Die Kirche stand auf nackter, festgestampfter Erde, doch hinter dem Altar lag eine Steinplatte. Kein besonders gutes Versteck, fand Aliena, aber wer kam schon auf die Idee, eine so offensichtlich arme Kirche auszurauben?
Sie kniete sich auf einem Bein nieder und versuchte, die Platte zu verrücken, doch sie war sehr schwer und rührte sich nicht vom Fleck. Aliena bekam es mit der Angst zu tun. Richard kann diesen Ralph schließlich nicht ewig in Schach halten, überlegte sie, und wenn der Kerl entkommt und Hilfe holt – dann muss ich beweisen, dass das Geld uns gehört! Und das dürfte sich womöglich noch als meine geringste Sorge herausstellen, denn immerhin habe ich schon einen Überfall auf einen Priester und einen Einbruch in seine Kirche auf dem Kerbholz. Die Erkenntnis, dass nunmehr sie selbst gegen das Gesetz verstieß, ließ sie frösteln. Der Anflug von Angst verlieh ihr zusätzliche Kraft. Mit einem gewaltigen Ruck gelang es ihr, die Platte
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