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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Sonne geschienen – ideale Voraussetzungen für seinen Plan. Doch mit beginnender Dunkelheit am Sonnabend setzte der Regen ein. Der Prior lag schlaflos da und hörte die Regentropfen aufs Dach trommeln und den Wind in den Bäumen rauschen. Er hatte das Gefühl, genug gebetet zu haben – Gott war jetzt gewiss darüber im Bilde, was auf dem Spiel stand.
    Am Sonntag zuvor hatte jeder Mönch des Klosters ein oder zwei Dorfkirchen in der näheren und weiteren Umgebung aufgesucht, um den Gemeinden mitzuteilen, dass sie ihre Sünden durch sonntägliche Arbeit auf der Dombaustelle abbüßen konnten. Am Pfingstsonntag ginge es um die Sünden des vorangegangenen Jahres, danach rechne sich ein Arbeitstag gegen die Sünden einer Woche mit Ausnahme von Mord und Gotteslästerung. Philip selbst hatte sich nach Shiring begeben und in jeder der vier Kirchen das Wort ergriffen. Zwei Mönche hatte er nach Winchester geschickt. Ihr Auftrag lautete, in der Stadt so viele der schier unzähligen kleinen Kirchen aufzusuchen, wie ihnen möglich war. Winchester war zwei Tagesreisen entfernt, doch das Pfingstfest erstreckte sich über sechs Tage, und für einen großen Jahrmarkt oder einen außergewöhnlichen Gottesdienst nahm man durchaus die Strapazen einer solchen Reise in Kauf. Alles in allem hatten ein paar tausend Menschen von der Botschaft Kunde erhalten. Wie viele darauf reagieren würden, stand freilich in den Sternen.
    Die übrige Zeit hatten die Mönche selbst auf der Baustelle gearbeitet. Das gute Wetter und die langen Tage des Frühsommers hatten das Ihrige getan, sodass fast alles, was Philip sich vorgenommen hatte, bewältigt worden war. Die Fundamente für die Ostwand des Altarraums waren gelegt. Die Löcher für die Fundamente der Nordwand waren großenteils ausgehoben, sodass die ersten Steine gelegt werden konnten. Tom hatte so viele Flaschenzüge gebaut, dass Dutzende von Hilfskräften bei den noch ausstehenden Ausschachtungsarbeiten eingesetzt werden konnten. Am Flussufer stapelten sich die von den Forstarbeitern herangeflößten Stämme sowie eine Fülle von Steinen, die zur Baustelle hinaufgeschleppt werden mussten. Arbeit gab es für Hunderte von Menschen.
    Aber würde überhaupt jemand kommen?
    Um Mitternacht stand Philip auf und stapfte durch den Regen in die Krypta zum Frühgebet. Als er nach der Frühmesse zurückkehrte, hatte der Regen aufgehört. Er ging nicht wieder zu Bett, sondern blieb auf und las. Die Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen waren die einzige ihm verbliebene Zeit zum Studium und zur Meditation, denn den Tag über beanspruchte das Kloster seine gesamte Kraft.
    In dieser Nacht fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Wieder und wieder kreisten seine Gedanken um den bevorstehenden Tag. Mit einem Schlag konnte er um die Früchte seiner einjährigen Arbeit gebracht werden. Ihm fiel ein – vielleicht aus einem Anflug von Fatalismus heraus –, dass es nicht rechtens war, sich Erfolg um des Erfolges willen zu wünschen. Ist es mein Stolz, der hier auf dem Spiel steht, fragte er sich. Stolz war von allen Sünden diejenige, für die er am anfälligsten war. Er dachte an die Menschen, die von ihm abhingen, die Mönche, die Dienstleute, die Steinbrecher, Tom und Alfred, die Einwohner des Dorfes und die Gläubigen in der gesamten Grafschaft. Von Bischof Waleran war nicht zu erwarten, dass er sich im gleichen Maße um sie kümmerte wie Philip. So wie Waleran den Dienst am Herrn verstand, konnte er über die Menschen nach eigenem Gutdünken verfügen. Für Philip bestand der Dienst am Herrn in der Fürsorge um den Nächsten. Dafür gab es die Erlösung. Nein, es konnte nicht Gottes Wille sein, dass Waleran aus diesem Wettstreit als Sieger hervorging. Mag sein, dass ein kleines bisschen Stolz auf dem Spiel steht, gestand Philip sich ein. Aber es geht auch um Menschenseelen.
    Endlich brach der Tag an, und wieder ging er zur Krypta hinüber, diesmal zur Prim. Die Mönche waren unruhig und aufgeregt: Sie wussten genau, dass die Ereignisse des Tages von entscheidender Bedeutung für ihre Zukunft sein würden. Der Sakristan haspelte rasch die Messe herunter, und Philip kam nicht umhin, ihm diesmal seine Hast nachzusehen.
    Als sie die Krypta verließen, erstrahlte der Himmel in hellem Blau. Sie begaben sich zum Frühstück ins Refektorium. Gott hatte ihnen wenigstens das Wetter geschickt, um das sie gebetet hatten. Ein guter Anfang.
    Tom Builder wusste, dass es heute um seine Zukunft ging.
    Philip

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