Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
hatte.
»Bischof Waleran sagt, dass du kein Geld hast und der Bau innerhalb von fünfzehn Monaten keinerlei Fortschritte gemacht hat«, schrieb der Prior von Canterbury. »Er fordert Bischof Henry auf, sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass die Priorei in Kingsbridge zum Bau einer Kathedrale gar nicht fähig ist. Und da noch kaum etwas geschehen sei, meint er, wäre es am besten, so bald wie möglich die Verlegung zu beschließen.« Waleran war viel zu gerissen, um sich bei einer plumpen Lüge erwischen zu lassen. Er hatte lediglich schamlos übertrieben. In Wirklichkeit hatte Philip schon eine Menge erreicht. Er hatte die Ruine abgetragen, die Baupläne verabschiedet und mit den Fundamenten begonnen. Die ersten Bäume waren gefällt und die ersten Steine gebrochen. Freilich – an Ort und Stelle war noch nicht viel geschehen; es gab nur wenig, was sich dem Besucher vorführen ließ. Kein Wunder bei den gewaltigen Hindernissen, die zu überwinden gewesen waren – von der Reform der Klosterfinanzen bis hin zum Sieg über Graf Percy im Kampf um den Steinbruch. Walerans Intrige war durch und durch ungerecht!
Mit dem Brief aus Canterbury in der Hand trat Philip ans Fenster und ließ den Blick über die Baustelle schweifen. Die Frühjahrsregenfälle hatten sie in einen einzigen Morast verwandelt. Zwei junge Mönche mit aufgesetzten Kapuzen schleppten vom Flussufer Bauholz herauf. Tom Builder hatte einen Flaschenzug konstruiert, mit dem sich die Erde aus den Gruben für die Fundamente hinaufbefördern ließ, und betätigte gerade das Drehrad, während sein Sohn Alfred in der Baugrube stand und Fässer mit Schlamm füllte. Man gewann den Eindruck, die beiden könnten im gleichen Tempo unentwegt weiterarbeiten, ohne je von der Stelle zu kommen. Jeder Betrachter der Szene, der nicht gerade ein Fachmann war, musste zu dem Schluss kommen, dass sich hier vor dem Jüngsten Gericht keine Kathedrale erheben würde.
Philip kehrte an sein Schreibpult zurück. Was tun? Einen Augenblick war er versucht, die Hände einfach in den Schoß zu legen. Soll Bischof Henry ruhig kommen und sich ein eigenes Urteil bilden, dachte er. Und wenn die Kathedrale dann in Shiring gebaut werden soll – nun, dann wird sie eben in Shiring gebaut. Mag Waleran seinen Willen haben und die Kathedrale für seine eigenen Zwecke nutzen, möge sie der Stadt Shiring und der bösen Dynastie derer von Hamleigh Wohlstand bringen. Gottes Wille geschehe.
Nein, so geht es nicht! Philip wusste, dass dieser Weg in die Sackgasse führte. Gottvertrauen bedeutete nicht, in Untätigkeit zu verharren; es äußerte sich vielmehr in der Überzeugung, dass ehrliches und energisches Bemühen letztlich doch zum Erfolg führt. Es ist meine heilige Pflicht, sagte sich Philip, alles zu tun, um zu verhindern, dass die Kathedrale von zynischen und gottlosen Menschen aus Selbstsucht missbraucht wird. Bischof Henry muss sehen, dass die Bauarbeiten zügig vorangehen und dass die Priorei Kingsbridge über genügend Energie und Entschlossenheit verfügt, um das Vorhaben auch zu Ende zu führen.
Stimmte das überhaupt? Tatsache war, dass der Bau der Kathedrale Philip unsägliche Schwierigkeiten bereitete und auch weiterhin bereiten würde. Schon die Blockade des Steinbruchs hätte ihn fast in die Knie gezwungen. Philip war nach wie vor felsenfest davon überzeugt, dass er mit Gottes Wille Erfolg haben würde, doch seine Gewissheit allein würde bei Weitem nicht ausreichen, um Bischof Henry zu überzeugen.
Er beschloss, ohne Rücksicht auf Verluste, der Baustelle ein imposanteres Gepräge zu geben. Ich werde in den verbleibenden zehn Tagen alle Mönche zur Arbeit abkommandieren. Vielleicht gelingt es ihnen, die Baugrube so weit auszuheben, dass Tom und Alfred schon die Fundamente legen können. Wenn sie es – an einer Stelle wenigstens – fertigbekommen, kann Tom mit dem Bau der Mauer beginnen. Das ist zwar nicht viel, aber immerhin besser als gar nichts.
Philip hätte hundert Arbeitskräfte benötigt, hatte aber noch nicht einmal genug Geld für zehn.
Bischof Henry, so viel stand fest, würde an einem Sonntag eintreffen, wenn keine Menschenseele bei der Arbeit war. Es sei denn, Philip appellierte an die Gemeinde, sich als Hilfskräfte zur Verfügung zu stellen … Er malte sich aus, wie er den Gläubigen den neuen Pfingstgottesdienst erklären würde: Statt Gesang und Gebet werden wir Löcher graben und Steine schleppen. Nun, da würden sie vielleicht schauen …
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