Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Sache, und er suchte nach den richtigen Worten. Mönche konnten mitunter sehr anmaßend sein und die Freiwilligen mit ihrem Verhalten vor den Kopf stoßen. Tom wollte den Tag jedoch friedlich und harmonisch gestalten. »Ich habe in der Vergangenheit bereits mit Freiwilligen gearbeitet«, sagte er. »Es ist sehr wichtig, dass man sie nicht … wie niederes Gesinde behandelt. Wir mögen zwar der Meinung sein, dass der Himmel ihnen ihre Mühe lohnt und sie daher noch härter arbeiten sollten, als wenn ihnen ihr Lohn im Diesseits ausgezahlt würde. Nur – die Freiwilligen müssen diese Meinung nicht unbedingt teilen. Sie haben das Gefühl, unentgeltlich zu arbeiten und uns dadurch einen großen Gefallen zu erweisen. Zeigen wir uns undankbar, so werden sie langsamer arbeiten und Fehler machen. Schlagen wir daher leise Töne an, das ist das Beste.«
Tom bemerkte, dass der Prior ein Lächeln unterdrückte, als wüsste er genau, welche Vorbehalte sich hinter Toms honigsüßen Worten verbargen. »Ihr habt recht«, sagte Philip. »Wenn wir die Leute gut behandeln, werden sie froh und munter an die Arbeit gehen. Ihre gute Arbeitsmoral wird zweifellos auch Bischof Henry beeindrucken.« Er sah seine Mitbrüder der Reihe nach an. »Keine weiteren Fragen? Gut, dann lasst uns beginnen.«
Aliena hatte unter der schützenden Hand von Prior Philip ein sorgenfreies und erfolgreiches Jahr verbracht.
Im Frühjahr und Sommer war sie mit Richard unterwegs gewesen und hatte den Bauern Felle abgekauft. Wann immer ein handelsüblicher Wollsack gefüllt war, verkauften sie ihn an Philip weiter. Am Ende der Saison besaßen sie fünf Pfund Silber.
Zu Weihnachten erfuhr Aliena, dass ihr Vater wenige Tage nach ihrem Besuch gestorben war. Es kostete sie eine Menge Schmiergeld, um sein Grab ausfindig zu machen, das sich auf einem Armenfriedhof in Winchester befand. Sie weinte herzerweichend – nicht nur um Vater, sondern um ihr gemeinsames, sicheres und sorgenfreies Leben, das unwiederbringlich dahin war. In gewisser Weise hatte sie schon vor seinem Tode von ihm Abschied genommen, war ihr doch, als sie das Gefängnis verließ, klar, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Andererseits war Vater noch immer bei ihr, denn der Eid, den er sie hatte schwören lassen, band sie. Aliena hatte sich damit abgefunden, den Rest ihres Lebens auf seine Erfüllung zu verwenden.
Richard und Aliena überwinterten in einem kleinen Häuschen an der Klostermauer. Sie hatten sich beim Stellmacher in Kingsbridge Räder gekauft und einen Karren gezimmert. Im Frühjahr erstanden sie einen jungen Ochsen als Zugtier. Inzwischen war die Zeit der Schafschur angebrochen, und sie hatten bereits mehr Geld eingenommen, als das Gespann gekostet hatte. Aliena dachte schon daran, im kommenden Jahr einen Gehilfen einzustellen. Für Richard wollte sie eine Anstellung als Page bei einem Landadeligen suchen, damit er seine Ausbildung zum Ritter beginnen konnte.
Alle ihre Pläne hingen jedoch von Prior Philip ab.
Ein achtzehnjähriges alleinstehendes Mädchen wie Aliena galt bei jedem Wegelagerer und vielen Kaufleuten als leichte Beute. Sowohl in Shiring als auch in Gloucester hatte sie probehalber versucht, einen Sack Wolle an einen Händler zu verkaufen, und beide Male hatte man ihr nur den halben Preis gegeben. Es gab in jeder Stadt immer nur einen einzigen Händler, der natürlich ganz genau wusste, dass sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Irgendwann einmal wollte Aliena ein eigenes Lager besitzen und direkt mit den flämischen Aufkäufern verhandeln, doch bis dahin würde noch viel Wasser die Themse hinunterfließen. Vorerst hing ihr Wohl und Wehe allein von Philip ab.
Und Philips Lage war auf einmal kritisch geworden.
Vor Rechtlosen und Dieben war sie beständig auf der Hut. Dass aber ihr Auskommen unvermittelt von einer ganz anderen Seite bedroht wurde, traf sie völlig unvorbereitet.
Richard hatte anfänglich keine Lust, am Pfingstsonntag auf der Dombaustelle zu arbeiten. Dankbarkeit war nicht gerade seine Stärke. Aliena hatte ihn schließlich mit sanfter Gewalt vom Gegenteil überzeugt, und so gingen sie kurz nach Sonnenaufgang die paar Schritte zur Klostereinfriedung hinüber. Zu Alienas Überraschung war fast das gesamte Dorf erschienen: etwa dreißig bis vierzig Männer, manche sogar mit Frau und Kind. Aber dann fiel ihr ein, dass Prior Philip ihr Lehnsherr war; seinem Ruf nicht Folge zu leisten war unklug. Im Laufe des letzten Jahres hatte Aliena eine
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