Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
zum letzten Mal eine Mauer gebaut und den tiefen inneren Frieden verspürt hatte, mit dem ihn das Aufeinanderfügen von Quadern in absolut geraden Reihen und das langsame Wachsen eines Bauwerks erfüllte.
Und als erst die Freiwilligen zu Hunderten herbeiströmten und er sah, dass Philips Plan aufging, da wuchs seine Freude an der Arbeit ins Unermessliche. Diese Steine waren Teil seiner Kathedrale; diese Mauer, erst ein paar Fuß hoch, würde dereinst bis in den Himmel reichen. Tom spürte: Dies war der Höhepunkt, die Erfüllung seines Lebens.
Die Ankunft Bischof Henrys hatte er sofort bemerkt. Wie ein Stein, der in einen Teich fällt, hatte die Nachricht ihre Kreise gezogen: Die Arbeiter hielten einen Augenblick lang in ihrer Arbeit inne und warfen einen Blick auf die prächtig gekleideten Gestalten, die sich geziert einen Weg durch den Schlamm suchten. Dem Bischof musste es beim Anblick der tausend Freiwilligen, die in bester Laune und mit Feuereifer den Bau ihrer neuen Kathedrale vorantrieben, schier die Sprache verschlagen haben. Jetzt lag es an Tom, einen ähnlich guten Eindruck zu machen. In Gegenwart gut gekleideter Herrschaften hatte er sich noch nie wohlgefühlt – jetzt musste er sachkundig, ruhig und selbstsicher vor ihnen auftreten und sich als ein Mann darstellen, dem man dankbar und mit ruhigem Gewissen ein so gewaltiges und kostspieliges Bauvorhaben anvertraut.
Er hielt die Augen offen und legte seine Kelle nieder, als er die Besucher näher kommen sah. Prior Philip stellte ihm Bischof Henry vor, und Tom kniete nieder und küsste ihm die Hand. »Tom ist unser Baumeister«, sagte er. »Er wurde uns von Gott an dem Tag gesandt, als die alte Kirche niederbrannte.«
Tom fiel auch vor Bischof Waleran auf die Knie und musterte die Begleiter. Übertriebene Unterwürfigkeit ziemt sich eigentlich nicht für einen Baumeister, dachte er bei sich. Er erkannte Percy Hamleigh, für den er einst ein halbes Haus gebaut hatte. »Lord Percy«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung. Er sah Percys abstoßend hässliche Frau. »Lady Regan.« Sein Blick glitt weiter zum Sohn. Ihm fiel wieder ein, wie William mit seinem Schlachtross damals beinahe die Kleine zermalmt hätte. Auch der Versuch des jungen Mannes, Ellen zu kaufen, war ihm wieder gegenwärtig. Dieser junge Bursche war ein durch und durch verworfener Kerl! Aber Tom machte gute Miene zum bösen Spiel. »Und der junge Lord William. Seid gegrüßt.«
Bischof Henry musterte Tom von oben bis unten. »Habt Ihr Eure Pläne gezeichnet, Tom Builder?«
»Ja, ehrwürdiger Vater. Wünscht Ihr, sie zu sehen?«
»Gewiss doch.«
»Wenn Ihr bitte hier herüber kommen möchtet.«
Henry nickte. Tom holte aus seiner Hütte den Grundriss, einen in Gips gezeichneten Plan, der von einem ungefähr vier Fuß langen Holzrahmen eingefasst war. Er lehnte ihn gegen die Hüttenwand und trat ein paar Schritte zurück.
Es war ein heikler Augenblick. Die meisten Menschen konnten mit einem Grundriss nichts anfangen. Bischöfe und Adelige hassten es jedoch, ihre Unkenntnis einzugestehen, weshalb man ihnen das Vorhaben so erklären musste, dass ihre Unwissenheit dem Rest der Menschheit verborgen blieb. Andererseits gab es natürlich auch Bischöfe, die Baupläne lesen konnten und sich beleidigt fühlten, wenn ein einfacher Baumeister sich die Freiheit nahm, sie zu belehren.
Tom deutete nervös auf den Plan und sagte: »Dies hier ist die Mauer, an der ich gerade arbeite.«
»Ja, natürlich, die Ostwand«, sagte Henry. Damit hatte sich die Frage von selbst beantwortet: Der Mann kannte sich aus. »Warum hat das Querhaus keine Seitenschiffe?«, fragte er.
»Aus Kostengründen«, erwiderte Tom, ohne zu zögern. »Aber wenn wir in fünf Jahren mit ihrem Bau beginnen, und falls das Kloster auch weiterhin so gedeiht wie im ersten Jahr nach Prior Philips Amtsübernahme, dann ist es gut möglich, dass wir uns Seitenschiffe für das Querhaus leisten können.« Er hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen – Philip gelobt und die Frage beantwortet – und kam sich sehr klug vor.
Henry nickte zustimmend. »Es ist nur vernünftig, bescheiden zu planen und Spielraum für Erweiterungen zu lassen. Zeigt mir die Vorderansicht.«
Tom holte die Vorderansicht hervor. Da er mittlerweile wusste, dass Henry das, was er vor sich sah, auch begriff, verzichtete er auf Erläuterungen. Henry bestätigte ihn, indem er sagte: »Die Proportionen sind gefällig.«
»Danke«, gab Tom zurück. Der Bischof
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