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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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schien mit allem zufrieden. »Es wird eine bescheidene Kathedrale sein«, fügte Tom noch hinzu, »aber sie wird lichter und schöner als die alte werden.«
    »Und wie lange wird der Bau dauern?«
    »Fünfzehn Jahre, wenn nichts dazwischenkommt.«
    »Es kommt immer etwas dazwischen. Trotzdem. Könnt Ihr uns zeigen, wie sie aussehen wird – ich meine, für jemanden, der davor steht?«
    Tom verstand, was er wollte. »Ihr wollt eine Zeichnung sehen.«
    »Ja.«
    »Gewiss doch.« Tom kehrte mit dem bischöflichen Besuch im Gefolge zur Mauer zurück, kniete sich vor das Brett und strich den Mörtel glatt. Dann zeichnete er mit der Spitze seiner Kelle eine Ansicht des Westflügels in den Mörtel. Zeichnen konnte er, es war eine seiner Stärken. Der Bischof, sein Gefolge sowie alle Mönche und Freiwilligen, die in der Nähe standen, sahen fasziniert zu. In den Augen derjenigen, die nicht zeichnen konnten, grenzte diese Fähigkeit an ein Wunder. Tom brauchte nicht lange. Nach ein paar Minuten war die Skizze der Westfassade mit ihren gewölbten Torbogen, großen Fenstern und Flankentürmen fertig. Ein einfacher Trick, der jedoch nie seine Wirkung verfehlte.
    »Bemerkenswert«, sagte Bischof Henry. »Möge Gottes Segen Euer Geschick begleiten.«
    Tom lächelte. Das war so viel wie eine hochamtliche Bestätigung seiner Ernennung zum Dombaumeister.
    »Wollt Ihr, ehrwürdiger Bischof, eine Erfrischung zu Euch nehmen, bevor Ihr die Messe lest?«, fragte Prior Philip.
    »Ja, gern.«
    Tom fiel ein Stein vom Herzen. Seine Prüfung war vorüber – und er hatte sie bestanden.
    »So kommt ins Haus des Priors, gleich hier drüben, wenn ich bitten darf«, sagte Philip, und die bischöfliche Entourage setzte sich in Bewegung. Philip kniff Tom in den Arm und raunte ihm zu: »Wir haben’s geschafft!« In seiner Stimme lag verhaltener Triumph.
    Tom atmete leicht auf, als die Würdenträger sich entfernten. Er empfand Stolz und Zufriedenheit. Ja, dachte er, wir haben es geschafft. Bischof Henry hatte sich beeindruckt gezeigt – und mehr als das: Er war schlichtweg überwältigt, trotz seiner nach außen hin zur Schau getragenen Zurückhaltung. Waleran hatte ihn offenbar auf ein ganz anderes Bild vorbereitet – eine triste, halb verlassene Baustelle, auf der sich nichts tat. Um so größer musste nun seine Überraschung sein. Der heimtückische Plan Walerans hatte sich gegen seinen Erfinder gekehrt und seinen Gegnern einen großartigen Sieg beschert.
    Er sonnte sich noch im Glanz seines Erfolgs, als hinter ihm plötzlich eine vertraute Stimme erklang: »Hallo, Tom Builder!«
    Er drehte sich um und erblickte Ellen.
    Nun war es an ihm, überwältigt zu sein! Die dramatische Krise um den Dombau hatte ihn so sehr beschäftigt, dass er den ganzen Tag über nicht an sie gedacht hatte. Ellen sah genauso aus wie damals, als sie ihn verlassen hatte: schlank und rank, mit dunklem Haar, das sich bewegte wie Wellen auf einem Strand, die Haut bronzebraun, die tiefliegenden Augen von schimmerndem Gold … Mit ihren vollen Lippen, bei deren Anblick er immer sofort ans Küssen denken musste, lächelte sie ihn an.
    Am liebsten hätte er sie sofort in die Arme genommen, aber er beherrschte sich. Mühsam brachte er ein »Hallo, Ellen!« hervor.
    Ein junger Mann an ihrer Seite sagte: »Hallo, Tom.«
    Tom sah ihn neugierig an.
    »Du kennst doch Jack!«, sagte Ellen.
    »Jack!«, rief Tom überrascht. Wie der Bursche sich verändert hatte! Er war jetzt ein wenig größer als seine Mutter und von jenem hageren Körperbau, über den Großmütter gemeinhin zu sagen pflegen: »Der Junge ist zu schnell in die Höhe geschossen.« Er hatte nach wie vor feuerrote Haare, einen hellen Teint und blaue Augen, aber seine Gesichtszüge waren insgesamt viel gefälliger als früher. Eines Tages mochte ein richtig hübscher Kerl aus ihm werden.
    Tom sah wieder zu Ellen hinüber. Einen Moment lang genoss er es einfach, sie anzustarren. Am liebsten hätte er gesagt: Ich habe dich vermisst, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich vermisst habe, und beinahe tat er es auch, aber dann verließ ihn der Mut, und er sagte statt dessen: »Und wo bist du all die Zeit gewesen?«
    »Wir haben im Wald gelebt, wie immer«, erwiderte sie.
    »Und wieso seid ihr gerade heute zurückgekommen?«
    »Wir hörten von dem Aufruf an die Freiwilligen; wir waren neugierig und wollten wissen, wie es dir geht. Außerdem habe ich mein Versprechen, eines Tages zurückzukommen, nicht

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