Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Richard begegnet war. Nun spukte sie ihm wieder ständig im Kopf herum, so frisch und schön, verletzlich und begehrenswert wie eh und je. Er hasste sie – schon allein der Macht wegen, die sie über ihn besaß.
»Dann ist Aliena jetzt also reich?«, fragte er betont gleichgültig.
»Richtig. Aber du hast ein ganzes Jahr für den König gekämpft. Er kann dir dein Erbe nicht verwehren.«
»Richard hat sich angeblich ebenfalls tapfer geschlagen«, sagte William. »Ich habe mich erkundigt. Und obendrein ist seine Tapferkeit dem König zu Ohren gekommen.«
Mutters bislang ärgerlich verächtliche Miene wurde nachdenklich. »Dann hat er also tatsächlich gewisse Aussichten.«
»Das ist zu befürchten.«
»Nun gut. Dagegen müssen wir etwas tun.«
»Aber was?«, fragte William unwillkürlich. Da hatte er sich nun vorgenommen, seiner Mutter keinesfalls das Kommando zu überlassen, und nun verfiel er schon wieder in alte Gewohnheiten!
»Du musst dem König ein größeres Kontingent an Rittern, neuen Waffen, besseren Pferden sowie Knappen und Kriegern mitbringen, wenn du zurückkehrst.«
William hätte ihr liebend gern widersprochen, aber er wusste, dass sie recht hatte. Der König würde das Lehen letztendlich demjenigen geben, der versprach, ihm am wirkungsvollsten zur Seite zu stehen – unabhängig vom Für und Wider der rechtlichen Lage.
»Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Mutter fort. »Du musst wie ein Graf auftreten und auch so handeln. Dann wird der König deine Ernennung früher oder später als fait accompli ansehen.«
Trotz aller Vorbehalte siegte Williams Neugier. »Wie tritt man denn auf und handelt wie ein Graf?«
»Tu deine Meinung kund, zu allem und jedem: Wie der König den Krieg künftig führen sollte, was die beste Taktik für die jeweils bevorstehende Schlacht wäre, wie es um die politische Lage im Norden bestellt ist, und – das ist besonders wichtig! – äußere dich vor allem über die anderen Grafen, über ihr Können und ihre Loyalität. Mit denen sprich von Mann zu Mann, am besten über andere. Erzähl dem Grafen von Huntingdon, dass der Herzog von Warenne ein großartiger Kämpfer ist; und dem Bischof von Ely erzählst du, dass du dem Vogt von Lincoln nicht über den Weg traust. Dann wird man dem König berichten: ›William von Shiring steht auf der Seite des Herzogs von Warenne‹ oder ›William von Shiring und sein Gefolge sind gegen den Vogt von Lincoln‹. Wenn du auf diese Weise erst einmal einen bedeutenden Eindruck erweckt hast, wird der König dir auch bereitwillig mehr Macht verleihen.«
William hielt wenig von solchen Feinheiten. »Ich meine, die Stärke meiner Armee wird mehr ins Gewicht fallen«, sagte er. Er wandte sich an den Gutsverwalter: »Wie viel Geld haben wir, Arthur?«
»Nichts, Herr«, erwiderte Arthur.
»Was, zum Teufel, erlaubt Ihr Euch?«, sagte William grob. »Es muss etwas da sein. Wie viel ist es?«
Arthur wirkte leicht überheblich, als habe er von Williams Seite nichts zu befürchten. »Herr, es ist absolut kein Geld vorhanden.«
William hätte ihn am liebsten erwürgt. »Dies ist die Grafschaft Shiring!«, sagte er laut und vernehmlich, sodass selbst die Ritter und das Burggesinde am anderen Ende des Tisches aufschauten. »Da muss es doch Geld geben!«
»Natürlich, Herr, wir nehmen ständig Geld ein«, antwortete Arthur milde. »Aber wir geben es auch wieder aus, besonders in Kriegszeiten.«
William musterte das blasse, glatt rasierte Gesicht. Arthur war viel zu selbstgefällig. Ob er wohl ehrlich war? Schwer zu sagen. William wünschte, er hätte Augen, die einem Mann ins Herz sehen konnten.
Seine Mutter wusste genau, was er dachte. »Arthur spricht die Wahrheit«, sagte sie und scherte sich keinen Deut darum, dass er mit ihnen am gleichen Tisch saß. »Er ist alt, faul und einfallslos, aber er ist ehrlich.«
William fühlte sich zutiefst getroffen. Kaum hatte er auf diesem Stuhl Platz genommen, da schrumpfte seine Macht auch schon wie durch Zauberhand. Es war wie verhext! Es schien kein Weg daran vorbeizuführen, dass er, gleichgültig, wie alt er auch wurde, immer ein Knabe unter Männern blieb. »Wie ist das nur gekommen?«, fragte er schwach.
»Dein Vater war den größten Teil des Jahres vor seinem Tod krank«, erwiderte Williams Mutter. »Ich sah zwar, dass er die Zügel schleifen ließ, konnte ihn aber nicht dazu bewegen, etwas zu unternehmen.«
Seine allmächtige Mutter – und konnte sich nicht durchsetzen? Das war
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