Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Sie hatten Williams Hure schreien hören und befürchteten Ärger. Andere Kunden äugten neugierig aus ihren Verschlägen. »Das war das erste Mal, dass ich das Zeug aus einem Mädchen hab schießen sehen!«, sagte Walter, und wieder bogen sie sich vor Lachen.
Einer von Williams Knappen stand mit besorgter Miene an der Tür. Er war fast noch ein Kind und hatte wahrscheinlich noch nie ein Bordell von innen gesehen. Unsicher, ob es ihm ziemte, in die Heiterkeit einzustimmen, lächelte er halbherzig. »Was hast du hier zu suchen, du Arschgeige?«, fuhr William ihn an.
»Für Euch ist eine Nachricht gekommen, Herr«, sagte der Knappe.
»Na, dann steh nicht so dumm herum, sag mir lieber, wie sie lautet!«
»Es tut mir sehr leid, Herr«, sagte der Junge. Er wirkte dermaßen verängstigt, dass William schon glaubte, er wolle gleich kehrtmachen und aus dem Haus laufen.
»Was tut dir leid, du Scheißkerl?«, brüllte William. »Wie lautet die Nachricht?«
»Euer Vater ist tot, Herr«, platzte der Junge heraus und fing an zu weinen.
William stierte ihn an, wie vom Donner gerührt. Tot, dachte er. Tot? »Aber er ist doch kerngesund!«, röhrte er einfältig. Es stimmte zwar, dass Vater nicht mehr in die Schlacht ziehen konnte, aber das nahm bei einem Mann von bald fünfzig Jahren kaum wunder. Der Knappe weinte noch immer. William rief sich ins Gedächtnis, wie sein Vater bei ihrem letzten Zusammentreffen ausgesehen hatte: massig, rotgesichtig und kraftvoll, leicht aufbrausend wie stets und geradezu strotzend vor Lebensfreude; und das war nicht einmal … Erschüttert stellte er fest, dass es fast ein Jahr her war, seit er seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte. »Was ist geschehen?«, fragte er den Knappen. »Was ist ihm zugestoßen?«
»Er hat plötzlich einen Anfall bekommen«, schluchzte der Knappe.
Ein Anfall! Langsam ging ihm auf, dass Vater wirklich tot war. Dieser große, starke, polternde, jähzornige Mann hilflos und kalt auf einer Steinplatte –
»Ich muss nach Hause«, sagte William unvermittelt.
»Ihr müsst zunächst den König um Beurlaubung ersuchen«, riet Walter behutsam.
»Ja, richtig«, stimmte William geistesabwesend zu. »Ich muss um Erlaubnis bitten.« In seinem Kopf ging es drunter und drüber.
»Soll ich die Wirtin entlohnen?«, fragte Walter.
»Ja.« William gab Walter seinen Geldbeutel. Irgendwer legte ihm seinen Umhang über die Schulter. Walter sprach im Flüsterton mit der Bordellbesitzerin und bezahlte sie. Hugh Axe hielt William die Tür auf.
Schweigend gingen sie durch die Straßen des kleinen Städtchens. William fühlte sich merkwürdig entrückt, als ginge ihn das Geschehen gar nichts an. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Vater nicht mehr sein sollte. Doch da sie sich dem Hauptquartier näherten, versuchte er, sich zusammenzureißen.
König Stephan hielt, in Ermangelung einer Burg oder eines Zunfthauses, in der Kirche Hof, einem einfachen Steingebäude mit inwendig knallig rot, blau und karottenfarben gestrichenen Wänden. Inmitten der Kirche war auf dem Boden ein Feuer entzündet worden, neben dem der stattliche König mit seinem hellbraunen Haar in der für ihn üblichen lässigen Haltung auf einem hölzernen Thron saß, die Beine weit von sich gestreckt. Er trug Soldatenkleidung, hohe Stiefel und einen ledernen Waffenrock, doch statt des Helmes eine Krone. William und Walter drängten sich durch die Bittsteller um das Kirchenportal, nickten den Wachposten zu, die die Menge zurückhielten, und begaben sich in den inneren Zirkel. Stephan unterhielt sich gerade mit einem adligen Neuankömmling, unterbrach das Gespräch aber, als er William sah. »William, mein Freund! Ihr habt es also erfahren.«
William verneigte sich. »Ja, mein Herr und König.«
Stephan erhob sich. »Ich trauere mit Euch«, sagte er. Er legte seine Arme um William und hielt ihn einen Augenblick lang umschlungen, bevor er ihn wieder freigab.
Durch seine Anteilnahme fühlte sich William erstmals zu Tränen gerührt. »Ich muss Euch um Heimaturlaub bitten«, sagte er.
»Er sei Euch bereitwillig, wenn auch nicht freudigen Herzens gewährt«, erwiderte der König. »Wir werden Euren starken rechten Arm vermissen.«
»Ich danke Euch, Herr.«
»Außerdem gewähre ich Euch die Verwaltung der Grafschaft Shiring und aller damit verbundenen Einkünfte, bis die Frage der Nachfolge geklärt ist. Geht nach Hause, begrabt Euren Vater, und kommt so schnell wie möglich wieder zu Uns
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