Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
ein heißer Spätsommertag, und der Weizen stand in fetten Garben auf den Feldern. Der sichtbare Überfluss tat das seine, um Williams Wut über die eigene Geldknappheit noch zu schüren. Irgendjemand beraubte ihn, obwohl es eigentlich niemand wagen durfte, ihm die Stirn zu bieten. Seine Familie hatte die Grafschaft dem in Ungnade gefallenen Bartholomäus abgewonnen, und trotzdem stand er ohne einen Penny da, während Bartholomäus’ Sohn aus dem Vollen schöpfte! Die Vorstellung, dass er bestohlen wurde und nichts ahnend zur Zielscheibe des Spottes geworden war, nagte an William, und je weiter er ritt, um so wütender wurde er.
Er hatte beschlossen, mit Northbrook anzufangen, einem kleinen, von der Burg ziemlich abgelegenen Dörfchen. Die Einwohnerschaft setzte sich aus Leibeigenen und Freisassen zusammen. Die Leibeigenen waren Williams Eigentum und durften ohne seine Einwilligung nichts unternehmen. Sie schuldeten ihm zu bestimmten Jahreszeiten eine festgelegte Zahl von Arbeitstagen und einen Teil ihrer Ernte. Die Freisassen zahlten ihm lediglich Pachtzins, und zwar in bar oder in Naturalien. Fünf von ihnen waren damit in Verzug geraten. William glaubte zu wissen, dass sie sich nur deshalb so viele Freiheiten herausnahmen, weil sie wussten, dass die Burg weit weg war. Dieses Dorf war bestimmt ein guter Ausgangspunkt für seine umfassende Aufräumaktion.
Es war ein langer Ritt, und die Sonne stand hoch am Himmel, als sie sich dem Flecken näherten, der aus zwanzig oder dreißig Häusern und drei riesigen, schon abgeernteten Feldern bestand.
Unweit der Häuser, am Rande eines der Felder, wuchs eine Gruppe von drei hohen Eichen. Als William mit seinen Mannen näher kam, sah er, dass der Großteil der Dorfbewohner im Schatten der Eichen zu sitzen und seine Vesper zu verzehren schien. Er gab seinem Pferd die Sporen, legte die letzten paar hundert Schritt in leichtem Galopp zurück und kam dann mit seinen Mannen in einer Staubwolke zum Stehen.
Während sich die Dörfler aufrappelten, ihr Brot hinunterwürgten und sich den Staub aus den Augen wischten, wurde William, dessen misstrauischem Auge nichts entging, Zeuge einer merkwürdigen kleinen Begebenheit. Ein Mann mittleren Alters mit schwarzem Bart redete leise, aber eindringlich auf ein dralles, rotwangiges Mädchen mit einem drallen rotbäckigen Säugling ein. Ein junger Bursche, der sich dazugesellte, wurde von dem älteren Mann hastig davongescheucht. Dann ging das Mädchen, augenscheinlich widerstrebend, auf das Dorf zu und wurde von der Staubwolke verschluckt. Williams Neugier war geweckt: Irgendetwas war faul an der Sache. Welchen Reim sich Mutter wohl darauf gemacht hätte?
Er beschloss, die Angelegenheit für den Augenblick auf sich beruhen zu lassen. Mit lauter Stimme wandte er sich an Arthur, sodass alle ihn hören konnten: »Fünf meiner Pächter sind mit ihren Abgaben im Rückstand, stimmt’s?«
»Ja, Herr.«
»Wer ist der säumigste Zahler?«
»Athelstan hat seit zwei Jahren nicht bezahlt, aber er hatte großes Pech mit seinen Schweinen.«
William fiel Arthur ins Wort und sprach über seinen Kopf hinweg: »Wer von euch ist Athelstan?«
Ein großer, gebeugter Mann um die fünfundvierzig trat nach vorn. Er hatte lichtes Haar und wässerige Augen.
»Warum zahlst du mir keine Pacht?«, fragte William.
»Herr, mein Hof ist klein, und ich habe keine Hilfe, jetzt, wo meine Jungs in die Stadt arbeiten gegangen sind, und dann kam noch das Schweinefieber –«
»Moment mal«, unterbrach William. »Wohin sind deine Söhne gegangen?«
»Nach Kingsbridge, Herr, um dort auf der Dombaustelle zu arbeiten. Sie wollen heiraten, wie alle jungen Männer, und mein Land ist nicht groß genug für drei Familien.«
William merkte sich die Auskunft, dass die jungen Männer in Kingsbridge Arbeit gefunden hatten, für später vor. »Dein Gut ist auf jeden Fall groß genug, um eine Familie zu ernähren, und trotzdem hast du deine Pacht nicht bezahlt.«
Athelstan fing wieder mit seinen Schweinen an. William stierte ihn feindselig an und hörte gar nicht zu. Ich weiß, warum du nicht gezahlt hast, dachte er. Du wusstest, dass dein Herr zu krank war, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Das hast du ausgenutzt und ihn betrogen – du und die vier anderen Missetäter. Wehe wir zeigen einmal eine Schwäche – sofort beraubt ihr uns!
Einen Moment lang badete er in Selbstmitleid, überzeugt, dass sich die fünf insgeheim ins Fäustchen gelacht hatten. Nun, sie
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