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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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dass niemand anders als Prior Philip die Schuld am Niedergang der Grafschaft Shiring trug. Die Bauernhöfe verloren ihre jungen Männer an die Baustelle, und Shiring, das Juwel der Grafschaft, wurde vom Aufschwung der neuen Stadt Kingsbridge in den Schatten gestellt. Die Einwohner zahlten ihre Mieten nicht an William, sondern an Philip, und die Käufer und Verkäufer auf dem Markt füllten nicht die Truhen der Grafschaft, sondern die der Priorei. Und überdies standen Philip das Holz, die Schafe und der Steinbruch zur Verfügung, die dereinst den Reichtum des Grafen gemehrt hatten.
    William ritt mit seinen Männern quer über das Gelände zum Marktplatz zurück, den er sich genauer ansehen wollte. Er trieb sein Pferd in die Menge, kam jedoch nur schrittweise voran. Hier stoben die Leute nicht ängstlich zur Seite. Wurden sie von seinem Pferd geschubst, so blickten sie nicht furchtsam, sondern höchstens ungehalten oder gar verärgert zu ihm auf; und niemand überschlug sich, ihm Platz zu machen, sondern alle nahmen sich Zeit dafür und ließen ihn ihre Geringschätzung merken. Hier hatte niemand vor ihm Angst. Das beunruhigte ihn zutiefst: Furchtlose Menschen waren unberechenbar.
    Er ritt eine Reihe von Ständen ab, dann die nächste wieder herauf, stets seine Ritter hinter sich. Das Schneckentempo der Menschenmenge machte ihn übellaunig. Zu Fuß wäre er schneller vorangekommen, aber bei diesem dreisten Volk von Kingsbridge konnte man nie wissen: Womöglich schreckte es nicht einmal davor zurück, ihn anzurempeln.
    Er war die Seitenreihe halb heruntergeritten, als er Aliena erblickte.
    Abrupt zügelte er sein Pferd und starrte sie wie gebannt an.
    Das war nicht mehr das magere, überanstrengte und verängstigte Mädchen mit Holzschuhen an den Füßen, dem er hier am Pfingstsonntag vor drei Jahren begegnet war. Ihr Gesicht, damals angespannt und abgezehrt, war voller geworden, und sie wirkte glücklich und gesund. Ihre dunklen Augen blitzten vor guter Laune, und bei jeder Kopfbewegung fielen ihr die dichten Locken ins Gesicht.
    Sie war so schön, dass William vor Begierde ganz schwindelig wurde.
    Sie trug ein scharlachrotes, reich besticktes Gewand, und an ihren ausdrucksvollen Händen funkelten mehrere Ringe. Ihr zur Seite stand eine ältere Frau, wahrscheinlich eine Dienstmagd. Geld wie Heu, hatte Mutter gesagt; kein Wunder, dass es Richard mit seinen vorzüglichen Waffen zum Knappen gebracht und sich dem Heer König Stephans angeschlossen hatte. Der Teufel sollte sie holen! Wie hatte es dieses bettelarme, einflusslose Mädchen nur so weit bringen können?
    Sie verweilte an einem Marktstand mit beinernen Nadeln, Seidengarn, hölzernen Fingerhüten und anderen Nähutensilien und unterhielt sich angeregt mit dem Verkäufer, einem stämmigen, dunkelhaarigen Juden. Ihre Haltung war Respekt einflößend, sie hatte sich das sichere Auftreten, das sie als Tochter eines Grafen auszeichnete, erneut angeeignet.
    Sie sah viel älter aus. Natürlich, sie war älter geworden. Er selbst war inzwischen vierundzwanzig, sie musste also einundzwanzig sein. Aber sie wirkte älter. Keine Spur von Kindlichkeit mehr. Sie war eine erwachsene Frau.
    Sie sah auf, und ihre Blicke kreuzten sich.
    Das letzte Mal, als sie seiner ansichtig wurde, war sie vor Scham errötet und davongelaufen. Diesmal behauptete sie ihre Stellung und starrte zurück.
    Er versuchte es mit einem wissenden Lächeln.
    Ein Ausdruck tödlicher Verachtung machte sich auf ihrem Gesicht breit.
    William spürte, wie er knallrot anlief. Sie war so hochmütig wie eh und je, verachtete ihn mit der gleichen Intensität wie vor fünf Jahren. Er hatte sie erniedrigt und entehrt, und trotzdem flößte er ihr keine Furcht mehr ein. Am liebsten hätte er ihr ins Gesicht gesagt, dass er jederzeit wieder ebenso mit ihr umspringen könne; über die Köpfe der Menschenmenge hinweg wollte er es ihr nicht zurufen. Unter ihrem unbeugsamen Blick kam er sich klein und unbedeutend vor. Vergebens bemühte er sich um ein höhnisches Lächeln; er brachte nur eine dümmliche Grimasse zustande, und das Wissen darum ließ ihn sich wie ein Tölpel fühlen. Peinlich berührt wendete er sein Pferd und trieb es an, doch die Menschenmenge hinderte ihn, sodass er sich im Schneckentempo entfernte und Alienas vernichtenden Blick noch lange im Nacken spürte.
    Als er den Marktplatz endlich hinter sich gelassen hatte, sah er sich Prior Philip gegenüber.
    Der kleine Waliser hatte die Arme in die Hüften

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