Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
gestemmt und das Kinn kampflustig vorgeschoben. William fiel auf, dass er nicht mehr so mager wie ehedem und dass sein spärliches Haar frühzeitig ergraut war. Auch sah er nicht mehr aus, als wäre er zu jung für seine Stellung. In seinen blauen Augen blitzte helle Wut. »Lord William!«, rief er herausfordernd.
William riss sich in Gedanken von Aliena los und erinnerte sich daran, dass er ein Hühnchen mit Philip zu rupfen hatte. »Ich bin froh, Euch zu begegnen, Prior.«
»Ich ebenfalls«, gab Philip ärgerlich zurück, obwohl der Anflug eines unsicheren Stirnrunzelns über sein Gesicht huschte.
»Ihr haltet hier einen Markt ab!«, beschuldigte William ihn.
»Na und?«
»Ich glaube nicht, dass König Stephan Kingsbridge je die Erlaubnis dazu gegeben hat. Noch einer seiner Vorgänger, soweit ich weiß.«
»Was erlaubt Ihr Euch?«, sagte Philip.
»Ich oder sonst wer –«
»Ihr!«, rief Philip und schnitt ihm das Wort ab. »Was fällt Euch eigentlich ein, hier aufzukreuzen und von einer Genehmigung zu faseln – Ihr, der Ihr in den vergangenen vier Wochen über das Land gefegt seid und Euch der Brandstiftung, des Diebstahls, der Vergewaltigung und mindestens eines Mordes schuldig gemacht habt?!«
»Das hat überhaupt nichts mit –«
»Wie könnt Ihr es wagen, in ein Kloster zu kommen und von einer Genehmigung zu faseln!«, brüllte Philip. Er trat einen Schritt vor und drohte William mit dem Finger, worauf Williams Pferd nervös zur Seite tänzelte. Philips Stimme war von enormer Tragweite, sodass es William nicht gelang, ihn zu unterbrechen. Inzwischen hatte sich eine Ansammlung von Mönchen, freiwilligen Helfern und Marktbesuchern eingefunden, um der Auseinandersetzung beizuwohnen. Philip war nicht zu halten: »Nach allem, was Ihr verbrochen habt, gibt es für Euch nur noch eines zu sagen: ›Vater, ich habe gesündigt!‹ Auf den Knien solltet Ihr liegen in diesem Kloster! Um Vergebung solltet Ihr beten, wenn Ihr dem ewigen Feuer der Hölle entrinnen wollt!«
William wurde leichenblass. Das Wort »Hölle« flößte ihm jedes Mal panische Angst ein. Verzweifelt versuchte er, Philips Redefluss zu unterbrechen, indem er rief: »Und was ist mit Eurem Markt? Und was ist mit Eurem Markt?«
Philip hörte ihn kaum. Er schäumte vor Zorn. »Bittet um Verzeihung für Eure Schandtaten!«, rief er. »Auf die Knie mit Euch! Auf die Knie, wenn Ihr nicht in der Hölle brennen wollt!«
Die Angst hatte William schon beinahe überzeugt, er werde unweigerlich im Höllenfeuer enden, wenn er nicht sofort vor Philip auf die Knie fiel und betete. Er wusste, dass er längst hätte beichten sollen, denn er hatte nicht nur auf seinem Ritt durch die Grafschaft gesündigt, sondern obendrein auch noch im Krieg viele Menschen erschlagen. Wenn er nun starb, bevor er seine Sünden bekannt hatte? Bei dem Gedanken an die ewigen Flammen der Hölle und an die Teufel mit ihren scharfen Messern wurde ihm ganz schwach zumute.
Philip kam direkt auf ihn zu, wies mit dem Finger auf ihn und schrie: »Auf die Knie mit Euch!«
William lenkte sein Pferd rückwärts. Sein verzweifelter Blick irrte nach allen Seiten, doch die Menge schnürte ihn ein. Seine Ritter hinter ihm sahen höchst verdutzt drein, unschlüssig, wie auf die geistlichen Drohungen eines unbewaffneten Mönches zu reagieren war. William wurde es zu viel – er hatte jetzt genug Erniedrigungen eingesteckt! Erst Aliena, und nun dies! Heftig zerrte er an den Zügeln, und sein riesiges Schlachtross bäumte sich gefährlich auf. Vor seinen mächtigen Hufen teilte sich die Menge. Sobald es mit den Vorderhufen wieder den Boden berührte, versetzte William seinem Pferd einen großen Tritt in die Flanken, sodass es einen Satz nach vorn machte. Zuschauer stoben auseinander. William trat noch einmal zu, und das Tier fiel in leichten Trab. Brennend rot vor Scham ergriff er die Flucht durch das Klostertor, gefolgt von seinen Rittern, wie eine Meute zähnefletschender Hunde, die ein altes Weib mit dem Besen verjagt.
Zitternd vor Angst bekannte William seine Sünden auf dem kalten Steinfußboden der kleinen Kapelle im Bischofspalast. Schweigend und vor Ekel wie erstarrt hörte sich Bischof Waleran die Liste der Morde, Überfälle und Vergewaltigungen an, die William sich hatte zuschulden kommen lassen. Sogar während seiner Beichte empfand William nichts als Verachtung für den hochnäsigen Bischof mit den reinweißen, über der Brust gefalteten Händen und den durchscheinend hellen,
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