Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
wie der Müller in Northbrook – erst dann darum zu bemühen, wenn man ihm auf die Schliche gekommen war. Leider war es in Philips Fall für William nicht so einfach, ihm eine Lektion zu erteilen.
Hinter dem Markt gab es eine Ruhezone. Im Anschluss an den Kreuzgang, wo sich einst die Vierung der alten Kirche befunden hatte, war ein Altar mit einem Baldachin darüber errichtet worden. Vor dem Altar stand ein weißhaariger Mönch und las aus einem Buch, dahinter die Mönche, säuberlich in Reihen aufgestellt, und sangen Kirchenlieder, deren Klänge jedoch das Treiben auf dem Marktplatz schluckte. Die versammelte Gemeinde war sehr klein. Wahrscheinlich die Non der Mönche, dachte William. Zum Michaelisgottesdienst würde jede Arbeit ruhen und selbstverständlich auch das Treiben auf dem Markt eingestellt.
Am anderen Ende des Klosterhofs wurde der Ostteil der Kathedrale gebaut. Dort gibt Prior Philip das, was er am Markttag abgesahnt hat, wieder aus, dachte William ungehalten. Die Wände waren dreißig oder vierzig Fuß hoch gediehen und ließen bereits die Umrisse der Fenster und Arkadenbogen erkennen. Überall wimmelte es von Arbeitern. William fand, sie sähen ein wenig merkwürdig aus, und kam schließlich darauf, dass es an ihrer bunten Kleidung lag. Es handelte sich natürlich nicht um die regulären, bezahlten Arbeiter, die heute einen freien Tag hatten; diese Leute waren freiwillige Helfer.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so zahlreich wären – Hunderte von Männern und Frauen, die Steine schleppten, Holz spalteten, Fässer rollten und schwere Karrenladungen Sand vom Fluss heraufholten. Und sie alle arbeiteten unentgeltlich, nur für die Vergebung ihrer Sünden!
Dieser gerissene Prior hat das hervorragend eingefädelt, stellte William neidisch fest. Denn die Menschen, die zur Arbeit am Dom kamen, gaben außerdem noch Geld auf dem Markt aus, und die Besucher des Marktes ließen sich ihrem Seelenheil zuliebe gewiss nicht wegen ein paar Stunden Arbeit lumpen. So wusch eine Hand die andere.
Er setzte sein Pferd in Bewegung und ritt über den Kirchacker zur Baustelle, um sich dort genauer umzusehen.
Die acht massiven Säulen des Bogengangs standen sich in Zweierpaaren über die Gesamtlänge der Baustelle hinweg gegenüber. Aus der Entfernung hatte William gemeint, er könne bereits die Rundbogen sehen, die einen Pfeiler mit dem nächsten verbanden, aber bei näherer Betrachtung musste er feststellen, dass sie noch gar nicht gebaut worden waren – das, was er dafür gehalten hatte, waren hölzerne, wie Rundbogen geformte Hilfsgerüste, auf denen die Steine ruhten, solange gebaut wurde und der Mörtel noch nass war. Das Hilfsgerüst stand nicht auf dem Boden, sondern lag auf den hervorspringenden Simsen der Kapitelle am oberen Ende der Säulen auf.
Parallel zum Bogengang wurden die Außenwände der Seitenschiffe mit regelmäßigen Aussparungen für die Fenster hochgezogen. Strebepfeiler ragten auf halbem Wege zwischen je zwei Fensteröffnungen aus der Wand. William betrachtete die offenen Enden der unvollendeten Wände: Sie bestanden nicht aus behauenen Steinen, sondern waren Doppelwände mit einem Hohlraum dazwischen, der anscheinend mit Bruchsteinen und Mörtel ausgefüllt wurde.
Das Gerüst bestand aus starken, mit Seilen zusammengebundenen Pfosten, die Laufbrücken aus biegsamen jungen Bäumchen und geflochtenem Schilf trugen.
Das alles muss eine schöne Stange Geld gekostet haben, stellte William insgeheim fest.
Seine Mannen im Gefolge, ritt er außen um den Altarraum herum. Dort schmiegten sich Holzhütten mit Pultdächern – die Werkstätten und Logen der Handwerker – an die Wände. Die meisten davon waren verschlossen, denn am heutigen Tag arbeiteten weder die Maurer an ihren Wänden noch die Zimmerleute an ihren Hilfsgerüsten. Die aufsichtführenden Handwerker jedoch – die Meister unter den Steinmetzen und Zimmerleuten – befehligten die freiwilligen Arbeitskräfte und zeigten ihnen, wo die vom Flussufer heraufgetragenen Steine und Stämme, der Sand und der Kalk zu lagern waren.
William lenkte sein Pferd um den Ostteil der Kirche gen Süden, wo ihm der Weg durch das Klostergebäude versperrt wurde. Er drehte um und konnte sich gar nicht genug über die Gerissenheit von Prior Philip wundern, der seine Meister an einem Sonntag zur Arbeit anhielt und seine Hilfskräfte umsonst bekam.
Das Gesehene hatte William nachdenklich gemacht, und nun schien ihm mehr als klar zu sein,
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