Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
eigensinnigen Frau traute er nicht zu, Gerechtigkeit walten zu lassen.
Die Kaiserin saß auf einem fein geschnitzten, vergoldeten Thron und trug ein glockenblumenblaues Gewand. Sie war groß und schlank, hatte dunkle, stolze Augen und glattes, glänzend schwarzes Haar. Über dem Kleid trug sie einen knielangen Seidenmantel, der in der Taille eng anlag und sich dann zu einem glockig fallenden Rock erweiterte, eine Mode, die sie in England eingeführt hatte und die inzwischen eifrig kopiert wurde. Mit ihrem ersten Mann war sie elf, mit ihrem zweiten vierzehn Jahre lang verheiratet gewesen, aber sie sah immer noch nicht wie vierzig aus. Man schwärmte allerorten von ihrer Schönheit. Auf Philip wirkte sie eher hölzern und unfreundlich, aber er war, im Großen und Ganzen immun dagegen, kein Kenner weiblicher Schönheit.
Philip, Francis, William Hamleigh und Bischof Waleran verneigten sich vor ihr und warteten. Die Kaiserin ignorierte sie und setzte ihre Unterhaltung mit einer ihrer Hofdamen fort. Es schien um Belanglosigkeiten zu gehen, denn beide lachten geziert; trotzdem machte Mathilde keine Anstalten, ihre Besucher zu begrüßen.
Francis arbeitete eng mit ihr zusammen und sah sie beinahe täglich, aber sie standen nicht gerade auf freundschaftlichem Fuß. Ihr Bruder Robert, in dessen Diensten Francis zuvor gewesen war, hatte ihn Mathilde überlassen, da sie bei ihrer Ankunft in England einen erstklassigen Sekretär benötigte, doch das war nicht sein einziger Beweggrund. Francis fungierte als Verbindungsmann zwischen Bruder und Schwester und behielt die impulsive Mathilde im Auge. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Geschwister in der Ränkeschmiede des königlichen Hofes Verrat aneinander begingen, daher bestand Francis’ Hauptaufgabe darin, Mathilde jedwede Geheimaktion zu erschweren.
Die Kaiserin wusste darüber Bescheid und akzeptierte seine Funktion, doch das machte die Beziehung zu Francis keineswegs leichter.
Zwei Monate waren seit der Schlacht in Lincoln vergangen, und für Mathilde war alles nach Plan verlaufen. Bischof Henry hatte sie in Winchester nicht nur willkommen geheißen (und damit seinen Bruder Stephan verraten), sondern auch einen großen Rat aus Bischöfen und Äbten einberufen, der sie zur Königin erkor; derzeit verhandelte sie mit der Bürgerschaft von London über ihre Krönung in Westminster. König David von Schottland, zufällig ihr Onkel, hatte sich bereits auf den Weg gemacht, um ihr einen offiziellen Besuch von Herrscher zu Herrscher abzustatten.
Bischof Henry wurde von Bischof Waleran von Kingsbridge unterstützt, dem es – Francis zufolge – gelungen war, William Hamleigh zu überreden, das Lager zu wechseln und sich auf Mathildes Seite zu schlagen. Nun war William erschienen, um seine Belohnung zu kassieren.
Die vier Männer standen herum und warteten: William mit seinem Hintermann, Bischof Waleran, und Prior Philip mit seinem Fürsprecher Francis. Philip sah Mathilde heute zum ersten Mal. Ihre äußere Erscheinung flößte ihm kein Vertrauen ein: Sie wirkte trotz ihrer königlichen Erscheinung unberechenbar.
Als Mathilde ihr Schwätzchen beendet hatte, wandte sie sich ihnen mit einer triumphierenden Miene zu, die Bände sprach: Seht her, wie unbedeutend Ihr seid; sogar meine Hofdame hat Vorrang vor Euch! Sie musterte Philip so lange und gründlich, dass er ganz verlegen wurde, dann fragte sie: »Nun, Francis, hier haben wir wohl Euren Zwilling?«
Francis erwiderte: »Mein Bruder Philip, Lady, der Prior von Kingsbridge.«
Philip verneigte sich noch einmal und sagte: »Der ein bisschen zu alt und grau für einen Zwillingsbruder ist, Lady.« Solch läppische Bemerkungen auf Kosten der eigenen Person galten bei Hofe als beliebt, doch die Dame musterte ihn nur kühl und gab keine Antwort.
Philip beschloss, keine weitere Mühe mehr an höfische Floskeln zu verschwenden.
Sie wandte sich William zu. »Und Sir William Hamleigh, der in der Schlacht zu Lincoln so wacker gegen meine Truppen gekämpft und sich nunmehr eines Besseren besonnen hat.«
William verneigte sich und hielt schlauerweise den Mund.
Mathilde richtete das Wort wieder an Philip. »Ihr habt mich gebeten, Euch die Genehmigung für Euren Markt zu erteilen.«
»Ja, Herrin.«
Francis fügte hinzu: »Der Erlös aus dem Markt wird ausschließlich für den Bau der Kathedrale aufgewendet.«
»An welchem Wochentag wollt Ihr Euren Markt abhalten?«, fragte sie.
»Am Sonntag.«
Sie zog die
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