Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
nicht entstanden.«
Philip war gerührt: Solch ein Lob hatte er noch nie zu hören bekommen. Wäre er gefragt worden, so hätte er gesagt, der Segen Gottes ruhe auf seiner Arbeit. Aber im Grunde seines Herzens wusste er, dass Francis recht hatte: Diese aufstrebende, geschäftige Stadt war sein Werk. Die Anerkennung tat ihm doppelt gut, weil sie aus dem Munde seines weltgewandten, zynischen jüngeren Bruders kam.
Tom Builder erblickte sie und kam herüber. »Ihr habt unglaubliche Fortschritte gemacht«, sagte Philip zu ihm. »Ja, aber seht Euch das an.« Tom deutete in die Nordostecke des Klostergeländes, wo die Quader aus dem Steinbruch gelagert wurden. Normalerweise befanden sich dort Hunderte, säuberlich in Reihen aufeinandergestapelte Blöcke; jetzt lagen kaum mehr als fünfundzwanzig herum.
»Wir sind zwar großartig vorangekommen, aber dabei haben wir leider auch unseren Vorrat an Steinen aufgebraucht.«
Philips Hochgefühl verflüchtigte sich. Mathildes harter Richtspruch setzte alles, was er erreicht hatte, wieder aufs Spiel!
Sie wandten sich der Nordseite der Baustelle zu, wo die besten Steinmetzen an ihren Werkbänken arbeiteten und die Blöcke mit Hammer und Meißel in die richtige Form brachten. Philip stellte sich hinter einen von ihnen und begutachtete sein Werk. Der Mann arbeitete an einem Kapitell, dem großen, vorspringenden Stein am oberen Ende jeder Säule. Mit Hilfe eines leichten Hammers und kleinen Meißels schnitt er ein Blattmuster aus dem Kapitell heraus. Die Blätter waren stark unterhöhlt und äußerst fein. Philip stellte überrascht fest, dass der junge Handwerker Jack war, Toms Stiefsohn. »Ich dachte, Jack ist noch in der Lehre«, sagte er.
»Ist er auch.« Tom ging weiter und sagte erst, als sie außer Hörweite waren: »Der Junge ist unglaublich. Es gibt Männer hier, die schon Steine geschnitten haben, bevor er auf die Welt kam, und trotzdem kann ihm keiner das Wasser reichen.« Er lachte verlegen. »Dabei ist er noch nicht einmal mein eigener Sohn!«
Toms Sohn Alfred war selbst Steinmetzmeister mit eigenen Lehrlingen und Gesellen, aber Philip wusste, dass Alfred mit seiner Gruppe nicht bei den schwierigen Arbeiten eingesetzt wurde. Unwillkürlich fragte er sich, was Tom im Grunde seines Herzens dabei fühlen mochte.
Tom war mit seinen Gedanken bereits bei den finanziellen Problemen. »Aber der Markt wird doch bestimmt eine schöne Stange Geld abwerfen«, sagte er.
»Schon, aber nicht genug. Zu Beginn allenfalls fünfzig Pfund im Jahr.«
Tom nickte beklommen. »Ungefähr so viel, wie wir für die Bezahlung der Steine brauchen.«
»Wenn ich Mathilde nicht hundert Pfund für die Marktrechte zahlen müsste, kämen wir gut zurecht.«
»Was ist mit der Wolle?«
Die Vliese, die sich in Philips Scheune stapelten, würden binnen weniger Wochen auf der Wollmesse zu Shiring verkauft und sollten etwa hundert Pfund einbringen. »Damit werde ich Mathilde bezahlen, aber dann bleibt mir immer noch nichts für die nächsten zwölf Monatslöhne der Handwerker übrig.«
»Könnt Ihr Euch nichts leihen?«
»Das habe ich schon versucht. Die Juden geben mir nichts mehr. Ich habe mich erkundigt, als ich in Winchester war. Wenn sie nicht sicher sind, dass man das Geld zurückzahlen kann, leihen sie einem nichts.«
»Und Aliena?«
Philip stutzte. Auf den Gedanken, von ihr zu leihen, war er noch nie gekommen. Sie hatte sogar noch mehr Vliese in ihren Scheunen. Nach der Wollmesse würden sie gut und gerne ihre zweihundert Pfund wert sein. »Aber sie braucht das Geld für ihren Lebensunterhalt. Und Christen dürfen keine Zinsen verlangen. Wenn sie ihr Geld an mich verleiht, bleibt ihr selbst nichts mehr für ihren Handel. Obwohl …« Noch während er sprach, kam ihm eine neue Idee. Hatte Aliena ihm nicht angeboten, seine gesamte Wollproduktion dieses Jahres aufzukaufen? Vielleicht fiel ihnen gemeinsam eine Lösung ein … »Ich denke, ein Besuch bei ihr könnte nicht schaden«, sagte er. »Ist sie zu Hause?«
»Ich glaube schon – heute Morgen habe ich sie jedenfalls noch gesehen.«
»Komm, Francis – du wirst gleich die Bekanntschaft einer bemerkenswerten jungen Frau machen.« Sie ließen Tom stehen und eilten der Stadt zu. Aliena besaß zwei nebeneinanderliegende Häuser an der Westmauer des Klosters. Eines bewohnte sie selbst, das andere diente ihr als Lager. Sie war sehr wohlhabend. Es musste doch eine Möglichkeit geben, mit ihrer Hilfe Mathildes Wucherpreis für die
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