Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
nun gar nicht vorstellen. Außerdem machte ihn Philips Bemerkung betroffen: Es freute ihn, dass Jack Steinmetzmeister wurde; jede andere Entwicklung konnte ihm nur Enttäuschung bereiten.
Philip, der gar nicht bemerkte, was in Tom vorging, fuhr fort: »Gott braucht gerade die besten und gescheitesten jungen Männer. Seht Euch nur die Lehrlinge dort an, die darum wetteifern, wer am höchsten springt! Aus denen werden einmal gute Zimmerleute, Steinmetzen oder Steinschneider. Aber das Zeug zum Bischof? Das hat nur einer – Jack.«
Das stimmt, dachte Tom. Wenn Jack wirklich die Möglichkeit hat, mit Philips starker Rückendeckung eine Laufbahn in der Kirche einzuschlagen, dann sollte er sie wohl beim Schopfe packen; damit ist allemal mehr Reichtum und Macht verbunden als mit dem Beruf eines Steinmetzen. »Was genau habt Ihr mit ihm vor?«, fragte er widerstrebend.
»Ich möchte, dass Jack als Novize ins Kloster kommt.«
»Mönch soll er werden?« Ein Mönchsdasein konnte er sich für Jack noch viel weniger vorstellen als das eines Priesters. Der Junge rebellierte ja sogar gegen die Disziplin auf der Baustelle – wie sollte er sich da wohl in die Klosterregeln fügen?
»Den Großteil seiner Zeit würde er beim Studium zubringen«, sagte Philip. »Er würde alles lernen, was unser Novizenmeister ihm beibringen kann, und darüber hinaus würde ich ihn noch selbst unterrichten.«
Wenn ein junger Mann ins Kloster eintrat, hatten seine Eltern der Sitte gemäß eine großzügige Spende zu machen. Tom fragte sich, was ihn dieser Vorschlag wohl kosten würde.
Philip erriet seine Gedanken. »Ich erwarte kein Geschenk an die Priorei von Euch«, sagte er. »Es genügt, dass Ihr Gott einen Sohn gebt.«
Natürlich wusste Philip nicht, dass er, Tom, der Priorei bereits einen Sohn geschenkt hatte: den kleinen Jonathan, der am Flussufer im seichten Wasser planschte und seine Kutte einmal mehr bis unter die Arme hochgezogen hatte. Aber Tom wusste, dass er seine persönlichen Gefühle in dieser Angelegenheit zurückstellen musste. Philips Angebot war großzügig, offenbar war ihm sehr an Jack gelegen. Und für Jack bot es ungeheure Möglichkeiten. Andere Väter hätten ihren rechten Arm dafür gegeben, ihren Sohn so gut versorgt zu wissen. Tom verspürte allerdings einen Moment lang Unmut darüber, dass nicht sein leiblicher Sohn Alfred, sondern sein Stiefsohn Jack solch wunderbare Aussichten hatte. Aber auch solche Gefühle waren verwerflich, und er unterdrückte sie sogleich. Er sollte sich lieber freuen, Jack Mut zusprechen und hoffen, dass der Bursche sich bald mit den Klosterregeln abfinden würde.
»Es sollte aber bald geschehen«, fügte Philip hinzu.
»Bevor er sich in irgendein Mädchen verliebt.«
Tom nickte. Auf der Wiese steuerte das Wettrennen der Frauen seinem Höhepunkt zu, und er verfolgte es mit den Augen, noch immer in Gedanken versunken. Schließlich bemerkte er, dass Ellen in Führung lag. Aliena war ihr hart auf den Fersen, doch Ellen konnte ihren Vorsprung bis zur Ziellinie behaupten. Triumphierend riss sie die Arme hoch.
Aliena war verblüfft, dass Ellen sie geschlagen hatte. Zwar war sie als Mutter eines siebzehnjährigen Sohnes sehr jung, musste aber dennoch mindestens zehn Jahre älter sein als Aliena. Schnaufend und schwitzend standen die beiden Frauen an der Ziellinie und lächelten sich an. Aliena fielen Ellens schlanke, sehnige braune Beine und ihre kompakte Figur auf. Die Jahre im Wald hatten sie gestählt.
Jack kam auf seine Mutter zu und beglückwünschte sie zu ihrem Sieg. Aliena konnte unschwer erkennen, dass sie einander sehr zugetan waren. Ähnlichkeit herrschte zwischen den beiden allerdings nicht: Ellen war eine sonnengebräunte Brünette mit tiefliegenden, goldbraunen Augen, Jack ein Rotschopf mit grünen Augen. Er wird wohl seinem Vater gleichen, dachte Aliena. Allerdings war über Jacks Vater, Ellens ersten Mann, nie ein Wort verloren worden. Vielleicht schämten sie sich seiner.
Mutter und Sohn so beieinander stehen zu sehen brachte Aliena auf den Gedanken, dass Jack Ellen an ihren verlorenen ersten Mann erinnern musste. Vielleicht hing sie deswegen so an ihm; vielleicht war ihr einzig der Sohn als Erinnerung an den geliebten Mann geblieben. Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung konnte sich in einem solchen Fall manchmal als ungeheuer starker Faktor erweisen. Ihr eigener Bruder Richard erinnerte sie bisweilen nur durch eine Geste oder einen Blick an ihren Vater, und dann flog
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