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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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begegneten; außerdem war Tom in jenem Alter, da die eigenen Kinder zu alt zum Verhätscheln, aber noch nicht alt genug für Enkelkinder waren, sodass es ganz natürlich schien, wenn er sich anderer Leute Kinder zuwandte. Soweit Tom wusste, war es bisher niemandem auch nur im Traum eingefallen, in ihm Jonathans Vater zu vermuten. Wenn überhaupt, dann wurde Philip mit dem Jungen in Verbindung gebracht – eine nicht allzu weit hergeholte Spekulation, auch wenn Philip, wäre sie ihm zu Ohren gekommen, bestimmt vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte.
    Jonathan hatte Aaron, Malachis ältesten Sohn, entdeckt; sogleich war die Enttäuschung vergessen, und er entwand sich Toms Armen, um mit seinem Freund zu spielen.
    Während die Lehrlinge ihre Wettrennen abhielten, kam Philip auf Tom zu und setzte sich neben ihn ins Gras. Es war ein heißer, sonniger Tag, und auf Philips geschorenem Kopf standen Schweißperlen. Toms Bewunderung für Philip hatte von Jahr zu Jahr zugenommen. Als er jetzt seinen Blick umherschweifen ließ, die jungen Männer bei ihren Wettkämpfen und die alten Leute im Schatten dösen sah, während die Kinder im Fluss planschten, musste er unwillkürlich daran denken, dass es Philip war, der diese Gemeinschaft zusammenhielt: Er regierte das Dorf, sprach Recht, entschied, wo neue Häuser gebaut wurden, schlichtete Streitigkeiten; er beschäftigte die meisten der männlichen und sogar viele weibliche Dorfbewohner, entweder als Arbeiter auf der Baustelle oder als Bedienstete in der Priorei; und er stand dem Kloster vor, dem A und O des Ganzen. Er wehrte machtlüsterne Adlige ab, verhandelte mit dem Monarchen und hielt den Bischof in Schach. All diese wohlgenährten, im Sonnenschein miteinander wetteifernden Menschen verdankten mehr oder weniger ihren Wohlstand Philip.
    Tom war sich der schier unglaublichen Nachsicht, die Philip in Ellens Fall an den Tag gelegt hatte, deutlich bewusst. Für einen Mönch war es beileibe kein Kinderspiel, ein solches Vergehen zu verzeihen. Dabei bedeutete es ihm so viel: Seine Freude am Bau der Kathedrale war durch seine Einsamkeit sehr überschattet worden. Erst seit Ellens Rückkehr fühlte er sich wieder wie ein ganzer Mensch. Und obwohl sie nach wie vor zum Verrücktwerden eigensinnig, streitsüchtig und unnachgiebig war, fiel es doch kaum ins Gewicht: In ihrem Innern brannte die Flamme der Leidenschaft, und mit diesem Licht hatte sie sein Leben erhellt.
    Tom und Philip sahen einem Wettrennen zu, bei dem die Jungen auf den Händen laufen mussten. Jack gewann. »Dieser Junge ist wirklich ganz außergewöhnlich«, sagte Philip.
    »Nicht jeder kann so schnell auf den Händen laufen«, meinte Tom.
    Philip lachte. »Das stimmt – aber an seine akrobatischen Fähigkeiten habe ich dabei gar nicht einmal so sehr gedacht.«
    »Ich weiß.« Jacks Klugheit war Tom seit langem sowohl ein Grund zur Freude als auch ein Dorn im Auge. Der Junge bewies lebhaften Wissensdurst an allem, was mit dem Bauen zusammenhing – eine Neugierde, die Alfred stets hatte vermissen lassen –, und Tom fand Vergnügen daran, Jack in die Geheimnisse seines Berufes einzuweihen. Aber Jack besaß keinerlei Taktgefühl und legte sich selbst mit jenen an, die ihm altersmäßig voraus waren. Man tat meistens besser daran, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen, doch das hatte Jack noch nicht einmal nach all den Jahren der Verfolgung durch Alfred gelernt.
    »Der Junge braucht eine Ausbildung«, fuhr Philip fort.
    Tom runzelte die Stirn. Jack war doch in der Ausbildung. Er war Lehrling. »Wie meint Ihr das?«
    »Er sollte sich eine gute Handschrift zulegen, Latein lernen und die alten Philosophen studieren.«
    Jetzt war Tom erst recht verwirrt. »Und zu welchem Zweck? Wo er doch Steinmetz wird?«
    Philip sah Tom in die Augen. »Seid Ihr da so sicher?«, fragte er. »Schließlich ist Jack immer für eine Überraschung gut.«
    Daran hatte Tom noch nicht gedacht. Natürlich gab es junge Menschen, die genau das Gegenteil von dem taten, was von ihnen erwartet wurde: Grafensöhne weigerten sich zu kämpfen, Königskinder traten ins Kloster ein, Bastarde von Bauern wurden Bischöfe. Philip hatte recht, von Jack war Ähnliches zu erwarten. »Ja, was glaubt Ihr denn, welchen Weg er einschlagen wird?«, fragte Tom schließlich.
    »Das hängt davon ab, was er lernt«, erwiderte Philip. »Aber ich will ihn für die Kirche.«
    Tom war überrascht. Als Mann der Kirche konnte er sich Jack

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