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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Er hatte selbst kaum je darüber nachgedacht – aber Mutter hatte vollkommen recht. »Ich werde ihn vielleicht nie wiedersehen«, fügte sie hinzu, und ihre Stimme bebte ein wenig. Staunend machte er sich klar, wie groß ihre Liebe zu ihm sein musste: Um ihrer selbst willen hätte sie sich niemals so hingebungsvoll eingesetzt!
    Philip sah sie mitfühlend an, doch es war Tom, der ihr antwortete. »Wir können einfach nicht zulassen, dass Jack und Alfred auf derselben Baustelle arbeiten«, sagte er störrisch. »Sonst kriegen sie sich nur wieder in die Haare, das weißt du ganz genau.«
    »Dann kann Alfred ja gehen«, sagte Mutter.
    Toms Miene betrübte sich. »Alfred ist mein Sohn.«
    »Aber er ist zwanzig Jahre alt und ein hundsgemeiner Kerl!« Mutters Stimme klang zwar fest, aber ihr Gesicht war tränennass. »Die Kathedrale liegt ihm keinen Deut mehr am Herzen als mir – er wäre vollauf zufrieden, wenn er in Winchester oder Shiring Häuser für Metzger und Bäcker bauen könnte.«
    »Die Hütte kann aber nicht Alfred ausschließen und Jack behalten«, sagte Tom. »Überdies ist die Entscheidung bereits gefallen.«
    »Aber die Entscheidung ist falsch!«
    Philip mischte sich ein. »Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit.«
    Sie blickten ihn gespannt an.
    »In diesem Fall könnte Jack nicht nur in Kingsbridge bleiben, sondern sich auch der Kathedrale widmen, ohne dass Alfred ihm schaden könnte.«
    Was das wohl sein mag, dachte Jack. Es klingt zu schön, um wahr zu sein!
    »Ich brauche jemanden, der mir bei der Arbeit zur Hand geht«, fuhr Philip fort. »Ich vertue zu viel Zeit mit den baulichen Einzelheiten, über die entschieden werden muss. Ich brauche eine Art Assistenten, der den Bauaufseher für mich spielt, die meisten Entscheidungen selbst trifft und nur bei wichtigen Dingen meinen Rat einholt. Darüber hinaus müsste er sich um die Finanzen und die Rohmaterialien kümmern, Lieferanten und Fuhrleute auszahlen und natürlich auch die Löhne. Jack kann nicht nur lesen und schreiben, sondern ist obendrein der schnellste Rechner, der mir je untergekommen ist – «
    »Und er ist mit allen Aspekten der Baukunst bestens vertraut«, warf Tom ein. »Dafür habe ich gesorgt.«
    Jack wurde von Schwindel erfasst: Nun durfte er doch bleiben! Sogar als Bauaufseher! Als solcher konnte er zwar keinen Stein mehr behauen, doch er hätte die Leitung des gesamten Kirchenbaus unter sich, in Philips Namen! Ein wahrhaft staunenswerter Vorschlag! Damit würde er mit Tom auf eine Stufe gestellt. Aber er wusste, dass er das Zeug dazu hatte. Und Tom wusste das ebenfalls.
    Einen Haken hatte die Sache allerdings. Jack meldete sich zu Wort. »Ich kann nicht länger mit Alfred unter einem Dach leben.«
    »Es ist ohnehin höchste Zeit, dass Alfred sich ein eigenes Heim schafft«, meinte Ellen. »Vielleicht bringt ihn das endlich dazu, dass er sich ernsthafter um eine Frau bemüht.«
    »Dir fallen immer wieder neue Gründe ein, weshalb wir Alfred loswerden sollten«, sagte Tom ärgerlich. »Ich werde doch nicht meinen eigenen Sohn aus dem Haus werfen!«
    »Ihr missversteht mich beide«, sagte Philip. »Ihr habt meinen Vorschlag nicht ganz begriffen. Jack würde nicht bei Euch wohnen.«
    Er hielt inne. Jack erriet, was kommen würde, und das war der letzte und schwerste Schlag dieses Tages.
    Philip sagte: »Jack müsste natürlich hier in der Priorei leben.« Stirnrunzelnd sah er sie an, als überstiege es sein Fassungsvermögen, dass sie ihn immer noch nicht verstanden hatten.
    Jack hatte ihn sehr gut verstanden. Er wusste noch genau, was seine Mutter beim Johannisfest im vergangenen Jahr gesagt hatte: Dieser mit allen Wassern gewaschene Prior schafft es irgendwie immer, schließlich doch noch seinen Kopf durchzusetzen. Sie hatte recht behalten. Philip wiederholte sein Angebot von damals, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Jack stand vor einer schwierigen Wahl. Er konnte Kingsbridge verlassen und allem, was ihm lieb und teuer war, den Rücken kehren. Oder er konnte bleiben und seine Freiheit verlieren.
    »Ich kann natürlich keinen Laien als Bauaufseher haben«, fügte Philip hinzu, und es klang, als wäre es die größte Selbstverständlichkeit der Welt. »Jack wird ins Kloster eintreten müssen.«
    +++
    In der Nacht vor der ersten Wollmesse zu Kingsbridge blieb Prior Philip wie gewöhnlich nach den Vigilien auf, doch statt sich zum Lesen und Meditieren in sein Haus zurückzuziehen, begab er sich auf einen Rundgang durch

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