Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
hoffte, William werde am Ende einsehen, dass die Wollmesse in Kingsbridge der Messe zu Shiring weit weniger Schaden zufügte, als er befürchtete. Der Wollhandel nahm unweigerlich von Jahr zu Jahr zu, sodass genug für zwei Märkte vorhanden war.
Er hatte seinen Rundgang fast beendet und blieb am südwestlichen Ende des Klostergeländes, wo sich die Mühlen und der Fischteich befanden, eine Zeit lang stehen und betrachtete das Wasser, das an den beiden stillstehenden Mühlen vorbeirauschte. Die eine diente nunmehr ausschließlich dem Walken von Tuchen und trug eine schöne Stange Geld ein. Das hatten sie Jack zu verdanken. Der Junge war unglaublich erfinderisch und würde sich mit der Zeit als enormer Gewinn für die Priorei erweisen. Er schien sich gut in sein Novizendasein eingelebt zu haben, obwohl er die Gebetszeiten noch immer als Störung beim Dombau empfand statt umgekehrt. Aber das würde er schon noch lernen; das klösterliche Leben übte einen läuternden Einfluss aus. Philip glaubte, dass Gott etwas Besonderes mit Jack vorhatte, und insgeheim hegte er die Hoffnung, Jack werde einmal seine Stelle als Prior von Kingsbridge einnehmen.
Jack erhob sich im ersten Morgengrauen und stahl sich aus dem Dormitorium, um vor der Prim noch einen allerletzten Kontrollgang über die Baustelle zu machen. Die Morgenluft war frisch und kühl wie klares Quellwasser. Ein warmer, sonniger Tag dämmerte herauf, gut für die Geschäfte und gut für die Priorei.
Er schritt die Mauern der Kathedrale ab und vergewisserte sich, dass sämtliche Werkzeuge und halb fertigen Arbeiten sicher in den Bauhütten verstaut worden waren. Tom hatte die vorrätigen Stein- und Holzstapel mit leichten Holzzäunen umgeben, um die Baumaterialien vor mutwilligen Beschädigungen durch gedankenlose oder betrunkene Besucher zu schützen. Und da ihnen nicht daran lag, dass irgendwelche tollkühnen Draufgänger auf die Mauern kletterten, waren alle Leitern in Sicherheit gebracht, die Wendeltreppen in den dicken Mauern mit provisorischen Türen verschlossen und die abgestuften Kanten der halb fertigen Mauern mit Holzblöcken versperrt worden. Mehrere Handwerksmeister sollten im Laufe des Tages Kontrollgänge machen und darauf achten, dass nichts beschädigt wurde.
Jack brachte es immer wieder fertig, die eine oder andere Gebetsstunde zu versäumen: Auf der Baustelle fand sich immer etwas zu tun. Zwar teilte er nicht den Hass seiner Mutter auf die christliche Religion, stand ihr aber mehr oder minder gleichgültig gegenüber. Begeistern konnte sie ihn nicht, aber er war bereit, sie hinzunehmen, solange es seinen Absichten diente. Er achtete darauf, dass er täglich wenigstens einem Gottesdienst beiwohnte – gewöhnlich jenem, bei dem Prior Philip oder der Novizenmeister zugegen waren, die beiden ranghöchsten Mönche, denen sein Fernbleiben am ehesten aufgefallen wäre. An sämtlichen Gebetsstunden teilzunehmen, hätte er nicht ertragen. Mönche führten das merkwürdigste und verdrehteste Leben, das sich vorstellen ließ: Die Hälfte ihrer Tage verbrachten sie mit selbst auferlegten Quälereien und Unannehmlichkeiten, die sie leicht hätten vermeiden können, die andere Hälfte damit, zu jeder Stunde, bei Tag und Nacht sinnlosen Hokuspokus in einer ansonsten leeren Kirche vor sich hin zu murmeln. Um alles Schöne und Angenehme machten sie einen großen Bogen – um Mädchen, Sport, Feste und Familienleben. Jack hatte allerdings beobachtet, dass die glücklichsten unter den Mönchen eine Aufgabe gefunden hatten, die sie zutiefst befriedigte: das Illustrieren von Manuskripten, Geschichtsschreibung, Kochen, das Studium der Philosophie oder – wie in Philips Fall – die Aufgabe, das verschlafene Dorf Kingsbridge in eine geschäftige Domstadt zu verwandeln.
Wenn Jack auch keine besondere Zuneigung für Philip empfand, so arbeitete er doch gern mit ihm zusammen. Männern, die ihr Leben der Kirche geweiht hatten, stand er mit der gleichen Zurückhaltung und Ablehnung gegenüber wie seine Mutter. Philips Frömmigkeit machte ihn verlegen, seine ehrliche Unschuld war ihm zuwider, und er misstraute seiner Neigung zu glauben, Gott werde schon richten, was er, Philip, nicht selbst bewältigen konnte. Dennoch arbeitete Jack gern für ihn. Seine Anordnungen waren klar und durchdacht. Jack ließ er Raum für eigene Entscheidungen, und nie schob er die Schuld für eigene Fehler seinen Untergebenen in die Schuhe.
Jack war erst seit drei Monaten Novize und würde
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