Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Vorschlag. »Heißt das, wir müssen ein Jahr länger warten, bevor wir den Gottesdienst wieder im Chorraum abhalten können?«
»Nein. Ob Stein oder Holz, das macht keinen Unterschied; wir können mit der Decke sowieso nicht vor nächstem Frühjahr beginnen, weil sich der Lichtgaden im Mittelschiff erst festigen muss, bevor wir ihn belasten können. Die Holzdecke ist schneller gebaut und spart dabei einige Monate; aber der Chorraum wird so oder so Ende nächsten Jahres überdacht sein.«
Philip überlegte. Es galt, die Vorteile eines feuerfesten Daches gegen den Nachteil abzuwägen, den eine vier Jahre längere Bauzeit mit sich brächte, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Kosten. Letztere lagen jedoch in weiter Ferne, während die zusätzliche Sicherheit sofort ihre Wirkung haben würde. »Ich werde es mit den Brüdern in der Kapitelversammlung beraten«, sagte er. »Mir jedenfalls gefällt Euer Vorschlag.«
Alfred bedankte sich und ging hinaus. Philip starrte noch eine Weile lang auf die Tür und fragte sich, ob es nach all dem noch nötig war, sich nach einem neuen Baumeister umzusehen.
Am Erntedankfest zeigte sich Kingsbridge von seiner besten Seite. Des Vormittags wurde in jedem Haus ein Laib Brot gebacken – das Getreide war geerntet, und es gab billiges Mehl in Hülle und Fülle. Wer selbst keinen Ofen hatte, benutzte den des Nachbarn oder ließ das Brot in den großen Backhäusern des Klosters oder bei den Stadtbäckern, Peggy Baxter und Jack-atte-Noven, backen. Gegen Mittag roch es überall nach frischem Brot, und den Leuten lief das Wasser im Mund zusammen. Die Brotlaibe wurden auf Tischen ausgestellt, die auf der Wiese am gegenüberliegenden Flussufer aufgebaut worden waren, und von allen bewundert. Kein Brot glich dem anderen. Viele waren mit Früchten oder Gewürzen gefüllt: Es gab Pflaumen- und Rosinenbrot, Ingwer- und Zuckerbrot, Zwiebel- und Knoblauchbrot und viele Sorten mehr. Einige Laibe waren petersiliengrün, eigelbgelb, sandelholzrot und sonnenblumenviolett. Hinzu kamen noch die unterschiedlichsten Formen: Dreiecke, Kegel, Kugeln, Sterne, Ovale, Pyramiden, Stangen, Brötchen, ja sogar Achten. Wieder andere waren in ihrem Ehrgeiz noch weiter gegangen und hatten wie Kaninchen, Bären, Affen und Drachen geformte Brote gebacken. Es gab Häuser und Burgen aus Brot. Aber der von Ellen gebackene Brotlaib schoss auf einstimmigen Beschluss den Vogel ab: die Darstellung der fertigen Kathedrale nach den Plänen ihres verstorbenen Mannes.
Ellens Kummer war unermesslich gewesen. Nacht um Nacht hatte sie kläglich vor sich hin gewimmert, ohne dass irgendjemand sie hätte trösten können. Selbst jetzt noch, zwei Monate später, wirkte sie abgehärmt und verweint; aber Martha und Ellen schienen sich gegenseitig eine Stütze zu sein, und die Herstellung der Kathedrale aus Brot hatte ihnen einen gewissen Trost verschafft.
Aliena blieb lange vor Ellens Backwerk stehen und hatte nur einen Wunsch: eine Tätigkeit zu finden, die ihr selbst Trost spenden konnte. Sie hatte an nichts mehr Freude. Als man mit dem Kosten begann, ging sie lustlos von Tisch zu Tisch, ohne einen Bissen zu probieren. Nicht einmal das neue Haus hatte sie bauen wollen, bis Prior Philip ihr befohlen hatte, sich zusammenzureißen. Alfred hatte ihr das Holz gebracht und ein paar Männer für die Arbeit zur Verfügung gestellt. Sie aß immer noch tagtäglich im Kloster, wenn sie überhaupt daran dachte. Sie fühlte sich matt und kraftlos. Wenn sie schon einmal etwas für sich selbst tun wollte – aus dem restlichen Holz einen Küchenschemel bauen oder die Ritzen in den Wänden ihres Hauses mit Lehm aus dem Fluss füllen oder eine Schlinge für den Vogelfang basteln, sodass sie etwas zu essen hatte –, dann musste sie jedes Mal daran denken, wie unermüdlich sie gearbeitet hatte, um sich als Wollhändlerin zu etablieren, und wie unglaublich schnell alles in Schutt und Asche gelegt worden war, und dann verlor sie jedes Mal wieder den Mut. So lebte sie also in den Tag hinein, stand spät auf, ging, wenn sie hungrig war, zum Essen ins Kloster, verbrachte den Tag damit, dem vorbeifließenden Fluss nachzuschauen, und schlief schließlich bei Anbruch der Dunkelheit auf dem strohbedeckten Fußboden ihres Hauses ein.
Bei aller Gleichgültigkeit war ihr dennoch klar, dass dieses Erntedankfest gar nichts besagte. Zwar war die Stadt wieder aufgebaut, und die Menschen gingen wie zuvor ihren Geschäften nach, doch Williams Massaker warf einen
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