Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
sprossen Gräser und Unkraut, die sich aus dem Nichts in der verbrannten Erde angesiedelt hatten. Die meisten Einwohner hatten inzwischen Latrinen gegraben, Gemüsegärten angelegt und Hühner- und Schweineställe gebaut, nur Alienas Hinterhof lag noch da wie am ersten Tag.
Richard verweilte einen Augenblick lang im Haus, aber es gab nicht viel zu sehen, und er folgte Aliena auf den Hof hinaus. »Das Haus ist ein bisschen kahl – keine Möbel, weder Töpfe noch Schüsseln …«
»Ich habe kein Geld«, sagte Aliena teilnahmslos.
»Und im Garten hast du auch noch keinen Handschlag getan«, bemerkte er und blickte sich naserümpfend um.
»Mir fehlt einfach die Kraft dazu«, gab sie unwirsch zurück, reichte ihm den schweren Sattel und ging ins Haus.
Sie setzte sich mit dem Rücken zur Wand auf den Boden. Es war kühl hier drinnen. Sie hörte, wie Richard sich draußen im Hof mit dem Pferd zu schaffen machte. Sie hatte noch nicht lange so dagesessen, als eine Ratte die Schnauze aus dem Stroh steckte. Ratten und Mäuse mussten zu Tausenden in dem Feuer umgekommen sein, doch so langsam machten sie sich wieder bemerkbar. Aliena schaute sich suchend um, aber sie hatte nichts zur Hand, womit sie das Tier hätte töten können, das außerdem ebenso schnell, wie es gekommen war, wieder verschwand.
Was soll ich nur tun, dachte sie. Ich kann nicht bis zum Ende meiner Tage so weiterleben. Aber allein schon der Gedanke, ein neues Unternehmen aufzubauen, raubte ihr den Rest ihrer Kraft. Sie hatte ihren Bruder und sich bereits einmal aus bitterer Armut befreit; ihre Kraftreserven waren dabei zur Gänze erschöpft worden, und noch einmal würde sie es nicht zustande bringen. Sie musste einen passiven Lebensstil finden und jemand anderem die Zügel überlassen, sodass sie frei von Entscheidungen und ohne Unternehmungsgeist leben konnte. Sie musste an Madame Kate in Winchester denken, die sie auf die Lippen geküsst und ihre Brüste gedrückt hatte: »Mein liebes Kind, dir wird es nie an Geld oder sonst irgendetwas mangeln. Wenn du für mich arbeitest, werden wir beide reich.« Nein, dachte sie, bloß das nicht; nie und nimmer.
Richard kam mit den Satteltaschen herein. »Wenn du nicht für dich selbst sorgen kannst, dann such dir besser jemanden, der sich um dich kümmert«, sagte er.
»Ich habe ja dich.«
»Ich kann mich nicht um dich kümmern!«, protestierte er.
»Wieso nicht?«, gab sie unwirsch zurück. »Schließlich habe ich mich ganze sechs Jahre lang um dich gekümmert!«
»Ich habe schließlich im Krieg gekämpft – und du hast bloß Wolle verscheuert.«
Und einen Banditen erdolcht, dachte sie; und einen schurkischen Priester zu Boden gerissen, und dich ernährt und gekleidet und dich beschützt, als du vor lauter Angst auf deinen Knöcheln herumgekaut hast. Aber der leichte Anflug von Wut verpuffte ebenso rasch, wie er gekommen war, und sie erwiderte lediglich: »Ich hab ja nur Spaß gemacht.«
Er grunzte, unsicher, ob er den Beleidigten spielen sollte oder nicht; dann schüttelte er unwillig den Kopf und meinte: »Wie dem auch sei, du solltest Alfred nicht so voreilig den Laufpass geben.«
»Um Himmels willen, halt endlich den Mund«, sagte sie.
»Was hast du an ihm auszusetzen?«
»Ich habe überhaupt nichts an ihm auszusetzen. Verstehst du denn nicht? Es liegt an mir. «
Er ließ den Sattel sinken und zeigte mit dem Finger auf sie. »Stimmt genau. Und ich kann dir auch sagen, weshalb: Du bist vollkommen selbstsüchtig. Du denkst bei allem zuerst an dich selbst.«
Das war so himmelschreiend ungerecht, dass sie unfähig war, wütend zu werden. Statt dessen schossen ihr die Tränen in die Augen. »Wie kannst du nur so etwas behaupten?«, widersprach sie schluchzend.
»Weil alles wunderbar wäre, wenn du Alfred nur heiraten wolltest. Aber was tust du? Du weigerst dich!«
»Und wenn ich Alfred zehnmal heirate – dir ist damit noch lange nicht geholfen.«
»Ei freilich.«
»Wie das denn?«
»Alfred hat mir gesagt, er will mich in meinem Kampf unterstützen, wenn ich sein Schwager werde. Ein wenig einschränken müsste ich mich schon – er kann sich nicht so viele Krieger leisten –, aber er hat mir ausreichend Mittel für ein Schlachtross, neue Waffen und meinen eigenen Knappen zugesichert.«
»Wann?«, fragte Aliena erstaunt. »Wann hat er das gesagt?«
»Gerade eben. Auf der Wiese.«
Aliena empfand diese Demütigung wie einen Schlag. Wenigstens besaß Richard so viel Anstand, einen Anflug
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