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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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dem Prior keine Beachtung, entfernte sich in entgegengesetzter Richtung und strebte dem Durchgang zu, der vom Südflügel zu den am neuen Kai gelegenen Häusern führte. Aber das Glück ließ ihn im Stich, denn im gleichen Augenblick kam ihm Bruder Pierre, der Cirkator, gefolgt von seinen beiden Stellvertretern, entgegen. Kaum waren sie Jacks ansichtig geworden, blieben sie wie angewurzelt stehen.
    Philip rief: »Halte diesen Novizen auf, Bruder Cirkator!«
    Pierre streckte einen Arm aus, um Jack den Weg zu versperren, doch der stieß ihn beiseite. Pierre, rot vor Zorn, packte Jack am Arm, aber der entwand sich dem Zugriff und versetzte ihm einen Nasenstüber. Pierre schrie auf, allerdings mehr aus Wut als vor Schmerz. Dann warfen sich seine beiden Stellvertreter auf Jack.
    Jack schlug wie ein Wilder um sich und hatte sich beinahe freigekämpft, als Pierre, von dem Schlag auf die Nase erholt, sich ebenfalls in das Getümmel stürzte; zu dritt brachten sie Jack zu Fall und warfen sich auf ihn. Jack wand sich wie ein Aal, fuchsteufelswild, weil ihn dieser Klosterquatsch nun auch noch daran zu hindern drohte, mit Aliena zu sprechen – und das war ihm wichtiger als alles andere. »Lasst mich los, ihr Idioten!«, rief er ein ums andere Mal, doch die beiden Stellvertreter setzten sich einfach auf ihn, während Pierre sich aufrichtete und sich die blutige Nase am Ärmel seiner Kutte abwischte. Neben ihm tauchte Philip auf.
    Jack erkannte trotz seiner unbändigen Wut, dass Philip ebenfalls außer sich war; er hatte ihn noch nie so gesehen. »Ein solches Verhalten dulde ich nicht, bei niemandem!«, sagte er mit schneidender Stimme. »Du bist ein Novize, und du wirst mir gehorchen.« Er wandte sich an Pierre. »Steckt ihn in den Kerker!«
    »Nein!«, brüllte Jack. »Das könnt Ihr nicht!«
    »Das kann ich sehr wohl«, gab Philip grimmig zurück.
    Der Kerker war ein kleiner, fensterloser Raum unterhalb des Dormitoriums und neben den Latrinen. Normalerweise diente er als Aufenthaltsort für Gesetzesbrecher, die auf ihre Verhandlung vor dem Klostergericht oder auf den Weitertransport ins Gefängnis des Vogts von Shiring warteten; gelegentlich jedoch beherbergte er Mönche, die sich gravierender disziplinarischer Vergehen – etwa unkeuscher Handlungen mit Prioreibediensteten – schuldig gemacht hatten.
    Jack hatte keine Angst vor der Einzelhaft; was ihn jedoch mit panischem Entsetzen erfüllte, war die Aussichtslosigkeit seiner Situation: Nun konnte er nicht mehr entfliehen und mit Aliena sprechen. »Ihr versteht überhaupt nichts!«, brüllte er Philip an. »Ich muss mit Aliena reden!«
    Etwas Schlimmeres hätte er kaum sagen können. Philip wurde jetzt erst recht wütend. »Genau dafür bist du ursprünglich bestraft worden«, gab er wutentbrannt zurück.
    »Aber ich muss mit ihr reden!«
    »Du musst bloß eines: dich in Gottesfurcht und in Gehorsam gegenüber deinen Oberen üben.«
    »Ihr seid ein Esel, aber nicht mein Oberer! In meinen Augen seid Ihr eine Null. Lasst mich gefälligst gehen, verflucht noch mal!«
    »Fort mit ihm«, gebot Philip finster.
    Inzwischen war es zu einem rechten Auflauf gekommen, und mehrere Mönche ergriffen Jack an Armen und Beinen. Er wand sich wie ein Fisch an der Angel, vermochte aber gegen die Übermacht nichts auszurichten. Nicht zu fassen, dass dies ausgerechnet ihm zustieß! Widerborstig, wie er war, schleppten sie ihn durch den Gang bis vor die Tür der Zelle. Irgendjemand öffnete sie, und Bruder Pierre befahl schadenfroh: »Werft ihn hinein!« Sie schwangen ihn zurück, dann flog er auch schon im hohen Bogen durch die Luft. Er prallte hart auf dem Steinfußboden auf, rappelte sich jedoch ohne Rücksicht auf seine Blessuren sofort wieder hoch und warf sich gegen die Tür – die just in diesem Moment zugeschlagen wurde. Gleich darauf hörte er, wie der schwere Eisenriegel niederpolterte und der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.
    Aus Leibeskräften hämmerte Jack gegen die Tür. »Lasst mich raus!«, schrie er, und seine Stimme überschlug sich fast. »Ich muss sie von dieser Heirat abbringen! Lasst mich raus!« Kein Ton drang zu ihm herein. Er schrie und schrie und schrie, doch mit der Zeit verwandelte sich die Forderung in Flehen, sein Geschrei in Gejammer, bis seine Stimme zu heiserem Geflüster herabsank und er vor ohnmächtiger Wut nur noch weinen konnte.
    Endlich hatte er sich ausgeweint, und seine Tränen versiegten.
    Er sah sich um. Die Zelle war keineswegs stockfinster,

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