Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
machen, sondern zur Verzweiflung treiben, das wusste er genau; und sie wusste es im Grunde ihres Herzens auch und würde diesen Schritt bis ans Ende ihres Lebens bereuen.
Eines Tages meinte einer der Klosterdiener, der gerade die Schreibstube ausfegte und sich zu einer kurzen Verschnaufpause auf seinen Besen lehnte: »Dann gibt es in eurer Familie ja bald ein großes Fest.«
Jack war in das Studium einer Weltkarte auf einem großen Pergament vertieft. Er hob den Blick. Der Sprecher war ein verwitterter alter Mann, längst zu schwach für schwere Arbeiten. Wahrscheinlich verwechselt er mich mit einem anderen, dachte Jack und fragte: »Wie das, Joseph?«
»Weißt du’s denn nicht? Dein Bruder heiratet.«
»Ich habe keinen Bruder«, sagte Jack mechanisch, doch sein Herz zog sich zusammen.
»Also dann Stiefbruder.«
»Nein, davon hatte ich keine Ahnung.« Er musste die Frage stellen! Er knirschte mit den Zähnen. »Wen heiratet er denn?«
»Diese Aliena da.«
Demnach war sie also entschlossen, ihre Absicht in die Tat umzusetzen. Insgeheim hatte Jack gehofft, sie werde ihren Entschluss noch ändern.
Er wandte sich ab, damit Joseph die Verzweiflung in seinem Gesicht nicht sah. »So, so«, murmelte er, krampfhaft bemüht, Gleichgültigkeit vorzutäuschen.
»Ja – wo sie doch immer so stolz und hochnäsig war, bis sie bei dem Brand alles verlor.«
»Wann – weißt du wann?«
»Morgen. Sie heiraten in der neuen Pfarrkirche, die Alfred gebaut hat.«
Morgen schon!
Aliena wollte Alfred schon morgen heiraten! Bis jetzt hatte Jack nie ernsthaft geglaubt, dass es tatsächlich so weit käme: Nun traf ihn die Wirklichkeit mit der Wucht eines Holzhammers. Aliena heiratete morgen. Mit seinem Leben war es ab morgen vorbei.
Er betrachtete die vor ihm auf dem Lesepult liegende Karte. Was kümmerte es ihn noch, ob Jerusalem oder Wallingford der Mittelpunkt der Welt war? Und würde es ihn wirklich glücklicher machen, wenn er wüsste, wie Hebel funktionieren? Er hatte Aliena gesagt, sie täte besser daran, aus dem Lichtgaden zu springen, als Alfred zu heiraten. Ich hätte hinzufügen sollen, dachte er, dass ich genauso gut gleich mitspringen kann …
Er verabscheute das Kloster. Das Mönchsdasein war eine ganz und gar idiotische Lebensweise. Und welchen Sinn hatte das Leben noch, wenn Aliena einen anderen heiratete und er selbst nicht einmal mehr am Dombau mitwirken durfte?
Dass er ganz genau wusste, wie sterbensunglücklich Aliena an Alfreds Seite würde, machte die Sache nur noch schlimmer. Und das lag nicht allein an seinem Hass auf Alfred. Es gab Mädchen, die eine Heirat mit Alfred mehr oder weniger zufriedengestellt hätte: Edith zum Beispiel, die nur gekichert hatte, als er, Jack, von seiner Leidenschaft fürs Meißeln sprach. Edith würde keine großen Ansprüche an Alfred stellen und ihm – solange sein Handwerk nur florierte und er die Kinder liebte – nur allzu gern Honig um den Bart schmieren und ihm aufs Wort gehorchen. Aliena jedoch wird über kurz oder lang das Leben mit Alfred hassen, jeden einzelnen Moment, dachte Jack. Alfreds Grobschlächtigkeit muss sie verabscheuen, seine herrischen Manieren verachten, seine Gemeinheit wird sie anekeln und seine Begriffsstutzigkeit zum Wahnsinn treiben. Eine Ehe mit Alfred wäre die reinste Hölle für sie …
Warum begriff sie das nicht? Jack stand vor einem Rätsel. Was ging nur in ihrem Kopf vor? Etwas Schlimmeres als die Ehe mit einem Mann, den sie nicht einmal liebte, konnte es doch gar nicht geben. Vor sieben Jahren hatte sie mit ihrer Weigerung, William Hamleigh zu heiraten, großes Aufsehen erregt, und nun nahm sie den Antrag eines Mannes an, der um keinen Deut besser zu ihr passte. Was dachte sie sich dabei?
Jack musste es einfach erfahren.
Kloster hin, Kloster her – er musste mit ihr reden.
Er rollte die Karte zusammen, legte sie in den Schrank zurück und ging zur Tür. Joseph stand immer noch auf seinen Besenstiel gelehnt. »Geht Ihr etwa?«, sagte er zu Jack. »Ich dachte, Ihr müsst hierbleiben, bis der Cirkator Euch holen kommt.«
»Der Cirkator kann mir den Buckel runterrutschen«, erwiderte Jack und verließ den Raum.
Sobald er den Ostflügel des Kreuzgangs betrat, geriet er in Prior Philips Blickfeld, der gerade von der Baustelle kam. Jack machte blitzschnell kehrt, doch Philip rief ihm nach: »Jack! Was treibst du da? Du stehst doch unter Hausarrest!«
Aber Jack stand jetzt nicht der Sinn nach klösterlicher Disziplin. Er schenkte
Weitere Kostenlose Bücher