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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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karottenroten Schopf. Es war die Haarfarbe Jacks. Abgesehen davon, dass er die beiden nicht in seinem Haus duldete, tat Alfred weder dem Kind noch Aliena etwas an.
    Aliena zog wieder zu ihrem Bruder in das Haus im Armenviertel. Sie war erleichtert, dass Alfreds Rache so milde ausfiel, und froh darüber, dass sie nicht mehr vor seinem Bett auf dem Fußboden schlafen musste wie ein Hund. Vor allem aber war sie stolz auf ihren kleinen Sohn und ganz hingerissen von ihm. Seine roten Haare, die blauen Augen und seine wunderbar weiße Haut erinnerten sie lebhaft an Jack.
    Aus welchem Grunde nun die Kirche eingestürzt war, wusste niemand genau, wenngleich es natürlich die verschiedensten Vermutungen gab. Die einen behaupteten, Alfred sei ein schlechter Baumeister, die anderen gaben Philip die Schuld, weil er auf die Fertigstellung des Gewölbes bis zum Pfingstfest gedrängt hatte. Einige Maurer sagten aus, das Gerüst sei entfernt worden, ehe der Mörtel noch richtig getrocknet war, und ein alter Steinmetz behauptete, es habe ursprünglich gar nicht die Absicht bestanden, ein steinernes Gewölbe einzuziehen; die Mauern seien also von vornherein zum Tragen eines derartigen Gewichts gar nicht geeignet gewesen.
    Neunundsiebzig Menschen waren bei dem Unglück umgekommen, jene mitgerechnet, die erst später ihren Verletzungen erlagen. Einig war man sich darüber, dass die Zahl der Opfer noch weit höher gewesen wäre, wenn Prior Philip nicht rechtzeitig so viele Leute in den Ostflügel geschickt hätte. Auf dem Klosterfriedhof war seit dem Feuer auf dem Wollmarkt kein Platz mehr frei, weshalb die meisten Toten neben der Gemeindekirche bestattet worden waren. Und viele Leute munkelten, auf der Kathedrale laste ein Fluch.
    Alfred zog mit all seinen Maurern nach Shiring, wo er fortan Steinhäuser für die wohlhabenden Städter baute. Auch die anderen Handwerker kehrten Kingsbridge den Rücken. Kein einziger wurde wirklich entlassen, und Philip zahlte auch die Löhne weiter, doch nach der Beseitigung des Bauschutts gab es nicht mehr viel zu tun. Nach ein paar Wochen waren alle Arbeiter fort. Es kamen auch keine freiwilligen Helfer mehr an den Sonntagen, der Markt beschränkte sich auf ein paar lustlos zusammengezimmerte Stände, und schließlich packte auch Malachi Familie und Habseligkeiten auf einen großen, von vier Ochsen gezogenen Karren und verließ die Stadt, um sich eine fettere Weide zu suchen.
    Richard verpachtete sein Schlachtross an einen Bauern und lebte mit Aliena von den Einnahmen. Ohne Alfreds Unterstützung konnte er nicht mehr die Existenz eines Ritters führen, was freilich, nachdem William Graf geworden war, ohnehin keinen Sinn mehr ergab. Aliena fühlte sich zwar nach wie vor an den ihrem Vater geleisteten Schwur gebunden, sah jedoch unter den obwaltenden Umständen keine Gelegenheit mehr, ihn einzulösen. Richard verfiel zusehends in Trägheit und Lustlosigkeit. Er stand erst spät auf und verbrachte den größten Teil des Tages damit, faul in der Sonne zu sitzen. Abends ging er regelmäßig in die Schenke.
    Im großen Haus des Steinmetzen lebte Martha nun allein mit einer ältlichen Dienerin. Die meiste Zeit allerdings war sie bei Aliena und kümmerte sich mit Begeisterung um deren Söhnchen – nicht zuletzt deshalb, weil es ihrem angebeteten Jack wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sie drängte Aliena, das Kind Jack zu nennen, doch die junge Mutter wollte sich noch nicht festlegen und zögerte die Entscheidung aus Gründen, über die sie sich selbst nicht im Klaren war, immer weiter hinaus.
    Den ganzen Sommer über war Aliena erfüllt von mütterlichem Stolz und Eifer. Dann, als die Ernte eingebracht war, die Luft kühler und die Abende länger wurden, schwand ihre Zufriedenheit allmählich dahin.
    Oft machte sie sich Gedanken über ihre Zukunft, und jedes Mal kam ihr dabei Jack in den Sinn. Er war fort, sie hatte keine Ahnung, wo er sich aufhielt, und sie rechnete kaum noch mit seiner Rückkehr. Dennoch war er ihr ständiger Begleiter, voller Tatkraft und Leben, so deutlich und nah, als sei er erst tags zuvor von ihr gegangen. Sie erwog, in eine andere Stadt zu ziehen, wo sie sich als Witwe ausgeben könnte; sie dachte darüber nach, ob Richard sich nicht auf die eine oder andere Weise dazu bewegen ließe, seinen Lebensunterhalt zu verdienen; sie überlegte, ob sie nicht mit der Weberei beginnen oder als Wäscherin arbeiten könne, ja sie erwog sogar, sich bei einer der wenigen Familien in der Stadt, die

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