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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Freie zu entkommen. »Nimm dir diese Leute«, sagte Philip zu Randolph. »Schick sie ins Infirmarium nach Verbandszeug und deinen Instrumenten. Lass einige in der Küche heißes Wasser holen. Bitte den Cellerar um starken Wein für jene, die etwas Belebendes brauchen. Und sorge dafür, dass die Toten und Verwundeten sorgfältig und mit den entsprechenden Abständen aufgereiht werden, damit deine Helfer nicht über ihre Leiber stolpern.«
    Die Rettungsarbeiten nahmen ihren Lauf. Viele der Überlebenden, die gleich ihm an der unversehrt gebliebenen Ostmauer Zuflucht gesucht hatten, waren ihm gefolgt und hatten bereits mit dem Abtransport der Toten begonnen. Ein, zwei Verwundete, die nur betäubt oder bewusstlos gewesen waren, kamen ohne Hilfe wieder auf die Beine. Philip fiel eine alte Frau ins Auge, die auf dem Boden saß und einen vollkommen verwirrten Eindruck machte. Es war Maud Silver, die Witwe eines Silberschmieds. Er half ihr auf und geleitete sie über das Trümmerfeld hinaus. »Was ist geschehen?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen. »Ich weiß gar nicht, was geschehen ist …«
    »Ich auch nicht, Maud«, sagte Philip.
    Das habt Ihr nun von Eurer verdammten Überheblichkeit, Philip  … Die Worte von Bischof Waleran wollten ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die Beschuldigung hatte ihn tief getroffen, zumal er ihr eine gewisse Berechtigung nicht absprechen konnte. Er war schon immer ein Antreiber gewesen, dem nichts gut genug war und nichts schnell genug ging. Er hatte Alfred dazu angetrieben, das Gewölbe schneller als geplant fertigzustellen, ebenso wie er andere dazu angetrieben hatte, einen Wollmarkt zu errichten und dem Grafen von Shiring den Steinbruch wegzunehmen. In jedem dieser Fälle hatte es am Schluss eine Tragödie gegeben: die Niedermetzelung der Steinbrucharbeiter, die Brandschatzung der Stadt Kingsbridge – und nun dies! Und schuld daran war sein übertriebener Ehrgeiz, er sah es jetzt ganz deutlich. Ein Mönch tat besser daran, ein Leben der Entsagung zu führen und alles, was ihm an Rückschlägen und sonstigen Misshelligkeiten widerfuhr, in stiller Demut als gottgegebene Lektionen in Geduld hinzunehmen.
    Philip barg stöhnende Verwundete und widerstandslose Tote und half, sie aus den Ruinen seiner Kathedrale nach draußen zu tragen. Für sich fasste er bei dieser traurigen Arbeit den Entschluss, fürderhin jeglichen Ehrgeiz und alles Drängen dem Allmächtigen zu überlassen – er, Philip, wollte künftig passiv hinnehmen, was immer geschah. Wenn Gott eine Kathedrale wollte, so würde Er auch für einen Steinbruch sorgen. Sollte die Stadt niedergebrannt werden, so wollte er, Philip, es als Zeichen dafür nehmen, dass Gott keinen Wollmarkt wünschte. Und die eingestürzte Kirche wollte er nicht mehr aufbauen.
    Kaum hatte Philip sich zu dieser Entscheidung durchgerungen, da erblickte er William Hamleigh.
    Der neue Graf von Shiring saß nicht weit vom nördlichen Seitenschiff auf dem Boden des dritten Jochs. Sein Gesicht war aschfahl, und er zitterte vor Schmerzen, denn sein Fuß war unter einem großen Stein eingeklemmt. Philip half, den schweren Klotz beiseite­zuwuchten, und dabei schoss ihm die Frage durch den Kopf, was den Herrn wohl dazu bewogen haben mochte, so viele gute Menschen sterben zu lassen – einem Aas wie diesem William aber das Leben zu schenken.
    William jammerte erbärmlich über die Schmerzen in seinem Fuß, war ansonsten aber unversehrt. Sie halfen ihm wieder auf die Beine. Er stützte sich schwer auf einen etwa gleichgroßen, grobschlächtigen Mann und humpelte davon.
    Und da schrie auf einmal ein kleines Kind.
    Alle hörten es. Da nirgendwo ein Kind zu sehen war, schauten sich alle erstaunt um. Da – wieder! Die Stimme schien unter einem gewaltigen Stein- und Trümmerhaufen im Seitenschiff hervorzudringen. »Hier herüber!«, rief Philip und befahl Alfred mit einem Wink an seine Seite. »Da drunter muss es sein – ein kleines Kind, es lebt …«
    Wie gebannt lauschten alle dem Schreien. Es musste sich in der Tat um ein sehr kleines Kind handeln, ein Säugling noch, bestimmt noch keinen Monat alt. »Ihr habt recht«, sagte Alfred. »Schieben wir erst einmal die größten Steine weg.« Der Schutt türmte sich so hoch, dass er den Bogen zum dritten Joch völlig blockierte. Philip half bei der Räumung nach Kräften mit. Er hatte keine Ahnung, welche Frau in der Stadt jüngst geboren hatte. Gewiss, es war durchaus möglich, dass ihm ein solches alltägliches Ereignis

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