Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
war wieder klar, und das Gewölbe über ihnen erkennbar: Es war genau am Rand des ersten Jochs abgebrochen, der Rest schien jedoch zu halten.
Es herrschte absolute Stille. Wie gelähmt vor Entsetzen starrte Philip auf die Ruine seiner neuen Kirche. Außer dem ersten Joch war nichts stehen geblieben. Im zweiten Joch standen die Mauern noch bis zur Höhe der Galerie, während vom dritten und vierten nur noch die Seitenschiffe übrig waren, doch waren auch sie stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Boden der Kirche war ein einziger Stein- und Schutthaufen und übersät mit den reglosen oder zuckenden Leibern der Toten und Verwundeten. Sieben Jahre fleißiger Arbeit, die Hunderte von Pfunden verschlungen hatte, waren mit einem Schlag dahin; Dutzende, wenn nicht Hunderte von Menschen in wenigen verhängnisvollen Augenblicken erschlagen. Philip tat das Herz weh ob all der vergeblichen Mühe, und er empfand tiefes Mitleid mit den Toten und Verletzten, mit den vielen Frauen und Kindern, die jetzt Witwen und Waisen waren. Seine Augen füllten sich mit bitteren Tränen.
Eine harte Stimme drang an sein Ohr. »Das habt Ihr nun von Eurer verdammten Überheblichkeit, Philip!«
Er drehte sich um und erkannte Bischof Waleran. Staub überzog die schwarzen Gewänder seines Widersachers, und in seinem Blick lag der Schimmer des Triumphs. Philip fühlte sich, als habe man ihm ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Es war grauenvoll genug, eine solche Tragödie miterleben zu müssen – dafür aber auch noch schuldig gesprochen zu werden, das war schlichtweg unerträglich. Ich habe doch nur das Beste gewollt, versuchte er zu sagen, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken. Er brachte keinen Ton heraus.
Sein Blick fiel auf Johnny Eightpence, der in diesem Augenblick zusammen mit seinem Schützling seinen Schlupfwinkel im Seitenschiff verließ. Die beiden erinnerten ihn wieder an seine Verantwortung. Die quälende Frage nach dem Schuldigen konnte später geklärt werden – fürs Erste galt es, die Verletzten zu versorgen und die Verschütteten zu bergen. Ihm, dem Prior, oblag es, die Rettungsarbeiten in die Wege zu leiten. Wutentbrannt funkelte er Waleran an und brüllte: »Geht mir aus dem Weg!« Der Bischof trat verblüfft zur Seite. Mit einem Satz erreichte Philip den Altar und sprang hinauf.
»Hört mir zu!«, rief er, so laut er konnte. »Wir müssen uns um die Verwundeten kümmern, die Verschütteten befreien und schließlich die Toten bestatten und für ihr Seelenheil beten. Ich werde jetzt drei Verantwortliche ernennen …« Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen, um zu sehen, wer von den Überlebenden die Katastrophe unbeschadet überstanden hatte. Er erkannte Alfred und sagte: »Alfred Builder ist für die Beseitigung der herabgestürzten Steine und die Bergung der Verschütteten zuständig. Ich fordere alle Steinmetzen, Maurer und Zimmerleute auf, ihm zur Hand zu gehen.« Zu Philips Erleichterung war auch sein alter Freund und Vertrauter Milius unverletzt. »Milius, der Kämmerer, sorgt dafür, dass die Toten und Verwundeten aus der Kirche geschafft werden. Er wird dabei kräftige junge Helfer brauchen. Randolph, der Infirmarius, wird sich der Verwundeten annehmen, sobald sie im Freien sind. Dabei können ihm die Älteren, vor allem die älteren Frauen, Hilfe leisten. Das mag genügen. Fangen wir an!«
Der Prior sprang vom Altar herunter. Befehle und Fragen hallten durcheinander und steigerten sich zum Tumult.
Alfred wirkte bis ins Mark erschüttert und entsetzt. Wenn irgendjemand Schuld an diesem Unheil trug, dann er, der Baumeister. Doch dies war nicht der Zeitpunkt für Vorwürfe. »Teilt Eure Leute in Gruppen ein, und lasst sie an verschiedenen Stellen gleichzeitig mit der Arbeit beginnen«, sagte Philip.
Alfred starrte ihn mit leeren Augen an, dann kam er wieder zu sich. »Richtig, ja. Wir fangen an der Westseite an und schaffen den Schutt nach draußen.«
»Gut so.« Philip ließ ihn stehen und arbeitete sich zu Milius vor. Der Kämmerer erteilte bereits die ersten Befehle: »Tragt die Verwundeten alle vorsichtig aus der Kirche, und legt sie dort aufs Gras. Die Toten bringt auf die Nordseite.«
Philip merkte, dass er sich, wie gewohnt, auf Milius verlassen konnte, und wandte sich ab. Randolph, der Infirmarius, kletterte über den Schutt. Philip eilte ihm nach. Draußen, auf der Westseite der Kirche, hatten sich die Menschen versammelt, denen es gelungen war, noch rechtzeitig vor dem Einsturz ins
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