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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wisst ihr, was ich glaube?«, fuhr Philip fort. »Ich glaube, Satan hat mit Gott über Kingsbridge gesprochen. Ich glaube, Gott sagte zu Satan: ›Siehe meine Leute in Kingsbridge. Sind das nicht gute Christen? Fleißig arbeiten sie sechs Tage auf ihren Feldern und in ihren Werkstätten, und am Sonntag bauen sie den ganzen Tag an einem neuen Dom für mich. Diese Leute lassen sich nicht verderben.‹ Und Satan antwortete: ›Sie sind rechtschaffen, weil es ihnen wohl ergeht. Du hast ihnen reiche Ernten und gutes Wetter gegeben, Kunden für ihre Ware, Schutz vor üblen Grafen. Nimm all dies hinweg von ihnen, und sie werden sich zu mir bekehren.‹
    Da sprach Gott: ›Was willst du ihnen antun?‹ Und Satan antwortete: ›Ihre Stadt verderben.‹ Und Gott sagte: ›Schön, versuche es und sieh, was geschieht.‹ Und Satan sandte William Hamleigh, der die Stadt in Brand setzte.«
    In diesen Zeiten war Philip das Buch Hiob ein großer Trost. Nicht anders als Hiob hatte er, Philip, sein Leben lang rechtschaffen gearbeitet und sich bemüht, Gottes Willen zu gehorchen – und wie Hiob hatte er Unglück, Fehlschläge und Missgunst geerntet. Seine Predigt sollte der Gemeinde Mut zusprechen – aber er sah deutlich, dass sie nicht wirkte. Nun, die Geschichte von Hiob war noch nicht zu Ende.
    »Und Gott sagte zu Satan: ›Sieh hin! Du hast die ganze Stadt bis auf den Grund niedergebrannt, und noch immer baut sie mir eine neue Kirche. Diese Menschen sind wahrhaft rechtschaffen.‹ Aber Satan sagte: ›Ich habe sie nicht schwer genug geschlagen. Die meisten sind dem Feuer entkommen und haben ihre Häuser schnell wieder aufgebaut. Lass sie mich mit einem schweren Unglück heimsuchen und sieh, was geschieht.‹ Und Gott seufzte und sprach: ›Was also willst du ihnen antun?‹ Und Satan antwortete: ›Ich will ihnen das Dach ihrer neuen Kirche verderben und auf ihre Häupter herabfallen lassen.‹ Und so geschah’s – wie wir alle wissen.«
    Philip ließ den Blick über seine Gemeinde schweifen. Nur sehr wenige Leute hatten keinen Angehörigen bei jenem schrecklichen Einsturz verloren. Da war Witwe Meg, die an diesem Tag einen treu sorgenden Gatten und drei wohlgeratene Söhne verloren hatte; seit jenem Tage hatte sie kein einziges Wort mehr gesprochen, und ihr Haar war über Nacht schlohweiß geworden. Andere hatten schwere Verletzungen davongetragen. Peter Pony hinkte jetzt, denn sein rechtes Bein war eingeklemmt worden; vor dem Unglück war er Pferdegänger gewesen, nun stellte er für seinen Bruder Sättel zum Verkauf her. Kaum eine Familie in Kingsbridge war gnädig davongekommen. Ganz vorn auf dem Boden saß gar ein Mann, der seine Beine nicht mehr bewegen konnte. Stirnrunzelnd fragte sich Philip, wer das sein mochte. Er hatte ihn nie zuvor gesehen – sein Unglück konnte ihm also nicht beim Einsturz der Kathedrale zugestoßen sein. Dann fiel ihm wieder ein, dass man ihm von dem Krüppel berichtet hatte, der in der Stadt zu betteln und in den Ruinen der Kathedrale zu schlafen pflegte. Philip hatte angeordnet, ihm ein Bett im Gästehaus zu geben.
    Aber seine Gedanken schweiften schon ab, und er rief sich zur Ordnung. »Was tat Hiob? Sein Weib sagte zu ihm: ›Verfluche deinen Gott und stirb.‹ Tat er das? Nein, er tat es nicht. Verlor er seinen Glauben? Nein, er verlor ihn nicht. Und Satan musste seine Niederlage eingestehen. Und ich sage euch –« – Philip hob die Hand, um seiner Rede größeren Nachdruck zu verleihen – »ich sage euch, Satan wird auch in Kingsbridge eine Niederlage einstecken müssen! Denn wir werden, wie einst Hiob, trotz all seiner Heimsuchungen, weiterhin dem wahren und einzigen Gott dienen!«
    Er machte eine neuerliche Pause, um das Gesagte einsickern zu lassen – aber er konnte deutlich sehen, dass es ihm nicht gelungen war, seine Schäfchen aus ihrer Lethargie zu reißen. Ihre Gesichter zeigten Anteilnahme, aber keine Inspiration. Ich bin einfach kein mitreißender Prediger, dachte er. Dazu stehe ich zu fest mit beiden Beinen auf der Erde. Gewiss, ich habe sie dazu gebracht, dass sie mir treu ergeben sind – aber auch das brauchte seine Zeit, bis sie erkannten, wie ich lebe und was ich leiste. Ich kann sie nur durch Taten inspirieren – jedenfalls konnte ich das einst –, niemals durch Worte.
    Unverdrossen fuhr er fort, denn das Beste an der Geschichte kam erst noch. »Wie erging es also Hiob, nachdem Satan von ihm abgelassen hatte? Gott gab ihm mehr, ja doppelt so viel, wie er

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