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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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an. Von der Hautfarbe einmal abgesehen, dachte Philip, wirkt er keinen Deut anders als die Hiesigen.
    Mutig fragte die Kleine: »Wie ist es denn in Afrika?«
    »Dort gibt es große Wüsten und Feigenbäume.«
    »Was ist eine Feige?«
    »Das … das ist eine Frucht, die aussieht wie eine Erdbeere und schmeckt wie ein Pfirsich.«
    Ein entsetzlicher Verdacht bemächtigte sich Philips. »Sagt an, Sarazene«, sagte er, »in welcher Stadt seit Ihr geboren?«
    »In Damaskus«, erwiderte der Mann.
    Sein Verdacht war also gerechtfertigt! Wütend zog Philip Jack beiseite und fragte ihn ebenso leise wie zornig: »Was spielt Ihr für ein Spiel?«
    »Wie meint Ihr das?«, gab Jack mit gespielter Unschuld zurück.
    »Diese Männer sind keine Sarazenen. Das sind Fischer aus Wareham mit braun geschminkten Gesichtern und Händen.«
    Jack schien es nicht weiter zu stören, dass sein Betrug aufgedeckt war. Grinsend fragte er: »Wie habt Ihr das erraten?«
    »Dieser Mann hat nie in seinem Leben eine Feige gesehen, und Damaskus liegt nicht in Afrika. Was soll der Betrug?«
    »Es ist nur ein harmloser Schwindel«, sagte Jack und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf.
    »Einen Schwindel, der harmlos ist, gibt es nicht«, verwies ihn Philip frostig.
    »Na schön.« Jack wurde klar, dass er Philips Zorn besänftigen musste. »Es dient dem gleichen Zweck wie ein farbiges Bild in der Bibel. Es ist nicht die Wahrheit, aber es dient der Illustration. Meine braun geschminkten Fischer aus Dorset versinnbildlichen die Tatsache, dass die Weinende Madonna aus dem Land der Sarazenen kommt.«
    Aliena und die beiden Priester traten zu ihnen. Philip ignorierte sie. »Man fürchtet sich nicht vor dem Abbild einer Schlange«, sagte er zu Jack. »Eine Illustration ist keine Lüge. Aber Eure Sarazenen sind keine Illustration, das sind Betrüger.«
    »Seit wir sie haben, nehmen wir viel mehr Geld ein«, entgegnete Jack.
    Philip betrachtete die aufgehäuften Pennys. »Die Leute denken vermutlich, das reiche, um eine Kathedrale zu bauen«, meinte er. »Mir scheint, das sind so um die hundert Pfund – und Ihr wisst genau, dass das nicht einmal reicht, um ein Jahr lang zu bauen.«
    »Mit dem Geld ist es wie mit den Sarazenen«, sagte Jack. »Es ist ein Symbol. Und Ihr wisst, dass Ihr damit wieder anfangen könnt zu bauen.«
    Das stimmt, dachte Philip. Nichts kann mich jetzt noch daran hindern. Die Madonna ist genau das, was Kingsbridge gebraucht hat. Sie wird eine Menge Menschen anziehen – Pilger und Scholaren und Neugierige. Und die Stadt wird sie als gutes Omen betrachten. Habe ich nicht auf ein Zeichen von Gott gewartet? Aber so gern ich daran glauben würde – das sieht mir eher nach einem Zeichen von Jack aus …
    Der jüngere der beiden Priester meldete sich zu Wort. »Ich bin Reynold, und dies hier ist Edward. Wir arbeiten für den Erzbischof von Canterbury. Er hat uns als Begleiter der Weinenden Madonna mitgeschickt.«
    »Wenn Ihr den Segen des Erzbischofs habt, wieso braucht ihr dann noch zwei angebliche Sarazenen, um die Herkunft der Madonna zu bezeugen?«, fragte Philip.
    In Edwards Gesicht malte sich Beschämung, doch Reynold sagte: »Das war Jacks Idee, und ich habe nichts Arges daran gefunden. Zweifelt Ihr etwa an der Madonna, Philip?«
    »Für dich Vater «, fuhr Philip ihn an. »Auch wenn du für den Erzbischof arbeitest, hast du kein Recht, dich unehrerbietig gegenüber Höherrangigen zu verhalten. Und die Antwort auf deine Frage ist ja. Ich hege Zweifel an der Madonna. Sie kommt mir nicht in meine Kathedrale, bevor ich nicht überzeugt bin, dass sie ein heiliges Artefakt ist.«
    »Eine hölzerne Statue weint!«, protestierte Reynold. »Wie viele Wunder braucht Ihr noch?«
    »Warum sie weint, ist nicht geklärt – aber das allein macht es noch nicht zu einem Wunder. Dass Wasser zu Eis gefriert, können wir auch nicht erklären – trotzdem ist es kein Wunder.«
    »Der Erzbischof wäre zutiefst enttäuscht, wenn Ihr die Madonna nicht annehmt. Er hatte sogar einen Streit darüber mit Abbé Suger, der sie für Saint-Denis reklamierte.«
    Das war eine glatte Drohung. Der Junge, dachte Philip, wird sich ein bisschen mehr anstrengen müssen, wenn er mich einschüchtern will. »Der Erzbischof würde gewiss nicht wünschen, dass ich die Madonna annehme, ohne Fragen zu stellen.«
    Zu seinen Füßen bewegte sich etwas – der Krüppel, der Philip schon vorher aufgefallen war. Der Unglückliche mit seinen lahmen Beinen zog sich über den Boden

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