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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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missfallen, doch dann fasste er rasch Zuneigung zu den beiden. Reynold, ein streitbarer junger Mann mit aufgewecktem Gesicht und klugem Kopf, befragte ihn ausgiebig zu seinen mathematischen Studien in Toledo. Edward war ein schon älterer, sanfter Mann und ein großer Schlemmer. Die Hauptaufgabe der beiden bestand darin, zu verhindern, dass die Spendengelder in Jacks Tasche wanderten. Doch da die beiden Priester sich mit großzügig bemessenen Reisekosten aus der Spendenkasse bedienten (während Jack und Aliena für sich selbst aufkamen), hätte der Erzbischof am Ende besser daran getan, von vornherein nur Jack zu vertrauen.
    Auf ihrem Weg nach Barfleur, wo sie ein Schiff nach Wareham besteigen wollten, kamen sie nach Cherbourg, eine kleine Stadt am Meer. Schon lange, bevor sie die Kirche im Herzen der Stadt erreichten, bemerkte Jack, dass irgendetwas nicht stimmte. Denn die Leute starrten nicht die Madonna an.
    Sie starrten ihn selbst an.
    Etwas später fiel es auch den beiden Geistlichen auf. Wie stets trugen sie die Statue auf einem hölzernen Gestell, und als die Leute hinter ihnen herzulaufen begannen, zischte Reynold Jack zu: »Was ist denn los?«
    »Keine Ahnung.«
    »Sie haben nur Augen für Euch, nicht für die Madonna! Seid Ihr schon mal hier gewesen?«
    »Noch nie.«
    »Nur die Älteren starren Jack an«, warf Aliena ein. »Die Jungen schauen die Madonna an.«
    Sie hatte recht. Kinder und junge Leute waren neugierig auf die Statue – die älteren schienen sich sogar vor Jack zu fürchten. Einer bekreuzigte sich gar bei seinem Anblick. »Was haben die nur gegen mich?«, fragte Jack laut.
    Wie üblich zog die Prozession viele Menschen an, sodass sie den Marktplatz mit einem großen Gefolge erreichten. Vor der Kirche stellten sie die Madonna ab. In der Luft hing ein schwerer Geruch nach Salzwasser und Fisch. Ein paar Leute gingen in die Kirche hinein, um den Priester des Städtchens zu holen. Bisher hatte die Madonna nur einmal versagt – an einem kühlen Tag, an dem Reynold einer Warnung Jacks zum Trotz auf der Durchführung der Prozedur bestanden hatte. Seitdem hielt er sich an Jacks Ratschläge.
    In Cherbourg war das Wetter in Ordnung, dafür stimmte etwas anderes ganz und gar nicht. In den windgepeitschten Gesichtern der Seeleute und Fischer spiegelten sich Aberglaube und Furcht. Die Jungen spürten die Beunruhigung der Älteren, sodass sich die Menschenmenge insgesamt misstrauisch, ja beinahe feindselig verhielt. Niemand trat näher an die Gruppe heran, niemand stellte Fragen über die Statue. Alle hielten Abstand, tuschelten miteinander und warteten und warteten.
    Endlich tauchte der Priester auf. Anderswo waren die Geistlichen mit vorsichtiger Neugier auf sie zugekommen, doch dieser hier stürmte aus der Kirche wie ein Exorzist, ein Kruzifix abwehrbereit in der Hand wie einen Schild, und in der anderen Hand einen Kelch mit Weihwasser. »Was hat er vor?«, fragte Reynold. »Will er Dämonen austreiben?« Der Priester stimmte einen lateinischen Singsang an und ging auf Jack zu. Auf französisch sprach er ihn an: »Hebe dich hinweg, böser Geist, und kehre zu deinesgleichen zurück! Im Namen des –«
    »Ich bin doch kein Geist, Idiot!«, brach es aus Jack heraus.
    Der Geistliche fuhr ungerührt fort: »… Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!«
    »Wir sind hier in einer Mission des Erzbischofs von Canterbury«, protestierte Reynold. »Er hat uns seinen Segen erteilt.«
    »Er ist bestimmt kein Geist«, meldete sich nun auch Aliena. »Ich kenne ihn schon seit seinem zwölften Lebensjahr!«
    Der Priester blickte unsicher von einem zum anderen. »Ihr seid der Geist eines Mannes aus dieser Stadt, der vor vierundzwanzig Jahren gestorben ist«, sagte er. Zustimmende Rufe ertönten aus der Menschenmenge, und der Priester begann von neuem mit seinem beschwörenden Singsang.
    »Ich bin erst zwanzig«, sagte Jack. »Vielleicht sehe ich dem Toten ähnlich.«
    Ein Mann trat aus der Menge hervor. »Ihr seht ihm nicht nur ähnlich«, sagte er. »Ihr seid er – ganz genau wie an dem Tag, da Ihr gestorben seid.«
    Abergläubisches, furchtsames Gemurr erhob sich. Jack, am Ende mit seinem Latein, betrachtete den Sprecher etwas genauer. Er war ein Mann von mehr als vierzig Jahren, mit ergrautem Bart, in der Kleidung eines gut situierten Handwerkers oder Händlers. Er wirkte alles andere als überspannt. Jack wandte sich direkt an ihn. »Meine Begleiter kennen mich«, sagte er, wenngleich seine Stimme dabei

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