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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Meilen weit getragen.« Atemlos lauschte die Gemeinde Jacks Worten. Er kann besser predigen als ich, dachte Philip – die Spannung ist bereits zu spüren. »Endlich kam ich zu dem Schluss, dass die Weinende Madonna nach Hause gebracht werden wollte. Aber wo lag ihr Zuhause? Dann hatte ich eine Erleuchtung: Sie wollte nach Kingsbridge.«
    Das Staunen der Gemeinde entlud sich in wirrem Durcheinandergerede, doch Philip blieb skeptisch. Es gab einen gewissen Unterschied zwischen den Wegen Gottes und den Wegen Jacks – und diese Geschichte roch ihm allzu sehr nach Jack. Dennoch verhielt er sich weiterhin still.
    »Dann überlegte ich: Wohin soll ich sie bringen? Welchen Tempel wird sie in Kingsbridge vorfinden? In welcher Kirche wird sie ihre Heimstatt sehen?« Sein Blick glitt über die schmucklosen, gemeißelten Wände der Pfarrkirche und sagte deutlicher als alle Worte, dass die Kirche nicht genug sei. »Es war, als spräche sie laut und deutlich zu mir: Du, Jack Jackson, sollst mir einen Schrein erbauen und eine Kirche errichten.«
    Philip dämmerte nun, was Jack im Sinne hatte: Die Madonna sollte der Funke sein, der die Begeisterung der Leute für den Dombau aufs Neue entzündete. Das gelang ihm wahrscheinlich besser als ihm, Philip, selbst mit seiner Predigt über Hiob. Dennoch blieb die Frage: Ist das Gottes Wille oder einfach nur Jacks Wille?
    »Da fragte ich sie: Womit soll ich eine Kirche bauen? Ich habe kein Geld. Und sie antwortete mir: Dafür lass nur mich sorgen. Wir machten uns also auf den Weg, mit dem Segen des Erzbischofs Theobald von Canterbury.« Bei der Erwähnung dieses Namens sah er kurz zu Philip auf. Aha, dachte der Prior, er will mir zu verstehen geben, dass er eine Macht hinter sich weiß.
    Jack wandte sich wieder der Gemeinde zu. »Und auf dem ganzen Weg hierher, von Paris aus durch die Normandie, über das Meer und durch den Süden Englands, haben uns viele, viele fromme Christen Geld gegeben, damit wir der Weinenden Madonna einen Tempel errichten können.«
    Auf ein Zeichen von Jack zogen feierlich zwei Sarazenen ein, auf ihren Häuptern Turbane, auf ihren Schultern eine eisenbeschlagene Truhe.
    Furchtsam wichen die Leute vor ihnen zurück, und selbst Philip versetzten sie in Erstaunen. Er wusste aus Büchern, dass Sarazenen dunkelhäutig waren, doch er hatte noch nie einen zu sehen bekommen, und die Wirklichkeit übertraf alle seine Vorstellungen. Sie trugen weit schwingende, schreiend bunte Gewänder, schritten durch die erstarrte Gemeinde, knieten vor der Madonna nieder und brachten ihr die Truhe dar.
    Atemlose Stille herrschte, als Jack einen großen Schlüssel hervorzog, die Truhe aufschloss und den Deckel hob. Die Leute verrenkten sich die Hälse – und mit einem Mal stieß Jack die Truhe um.
    Ein heller Strom von Silbermünzen ergoss sich auf den Boden, und es klang wie ein Wasserfall – das mussten Hunderte, nein, Tausende von Pennys sein! So viel Geld auf einem Haufen hatte noch keiner in seinem Leben gesehen.
    Jack hob die Stimme und übertönte die erstaunten Ausrufe. »Ich habe die Weinende Madonna nach Hause gebracht, und nun übergebe ich sie dem Bauherrn der neuen Kathedrale.« Er drehte sich um, sah Philip in die Augen und neigte den Kopf, als wolle er sagen: Nun seid Ihr an der Reihe.
    Jacks Vorgehen missfiel Philip gründlich, wenngleich er sich insgeheim eingestand, dass der junge Mann die Sache meisterhaft in Szene gesetzt hatte. Doch das hieß noch nicht, dass Jack schon gewonnen hatte. Die Leute mochten ja die Weinende Madonna erfreut begrüßen; doch nur der Prior von Kingsbridge konnte entscheiden, ob sie neben den Gebeinen des heiligen Adolphus in der neuen Kathedrale ihren Platz fand.
    Die Einheimischen bestürmten die Sarazenen mit Fragen, und Philip verließ sein Podest, um zuzuhören. »Ich komme aus einem weit, weit entfernten Land«, sagte der eine gerade. Erstaunt vernahm Philip, dass er das Englisch der Fischer aus Dorset sprach – allerdings wussten die Leute in Kingsbridge nicht einmal, dass Sarazenen eine eigene Sprache besaßen.
    »Wie heißt Euer Land?«, fragte jemand.
    »Mein Land heißt Afrika«, war die Antwort. In Afrika gab es natürlich mehr als nur ein Land, und Philip fragte sich, aus welchem dieser Sarazene wohl stammen mochte. Vielleicht gar aus einem Gebiet, das in der Bibel erwähnt war – Ägyptenland oder Äthiopien?
    Ein kleines Mädchen streckte einen Finger aus und berührte die dunkelbraune Hand. Der Sarazene lächelte es

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