Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
etwas zitterte. »Diese beiden hier sind Priester. Die Frau ist mein Weib, das Kind ist mein Sohn. Sollen sie auch alle Geister sein?«
Der Mann wurde sichtlich unsicher.
Nun trat eine weißhaarige Frau neben Jack und sprach ihn an: »Erkennst du mich nicht, Jack?«
Jetzt bekam Jack es wirklich mit der Angst zu tun. »Wieso kennt Ihr meinen Namen?«
»Weil ich deine Mutter bin«, sagte die Frau.
»Das seid Ihr nicht!«, mischte sich nun Aliena ein, und Jack hörte leichte Panik in ihrer Stimme mitschwingen. »Ich kenne seine Mutter, und sie sieht Euch nicht im Geringsten ähnlich! Was geht hier eigentlich vor?«
»Ein böser Zauber«, meinte der Priester.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Reynold. »Vielleicht ist Jack ja mit dem Toten verwandt. Hatte er denn Kinder?«
»Nein«, sagte der Graubart.
»Seid Ihr sicher?«
»Er hat nie geheiratet.«
»Das sind zwei Paar Stiefel.«
Ein paar Umstehende kicherten, und der Priester bedachte sie mit wütenden Blicken.
Dann meldete sich wieder der Graubart zu Wort. »Aber Jack ist vor vierundzwanzig Jahren gestorben, und dieser Jack hier behauptet, er sei gerade zwanzig.«
»Wie ist er denn gestorben?«, fragte Reynold.
»Ertrunken.«
»Habt Ihr seine Leiche gesehen?«
Stille. Schließlich sagte der Graubart: »Nein, ich habe sie nie gesehen.«
»Hat sie überhaupt irgendwer gesehen?«, fragte Reynold mit erhobener Stimme, da er sich einem Sieg schon nahe fühlte.
Niemand sagte ein Wort.
Reynold wandte sich an Jack. »Ist Euer Vater noch am Leben?«
»Er starb schon vor meiner Geburt.«
»Was war er denn?«
»Er war ein Spielmann.«
Ein Japsen ging durch die Menge, und die weißhaarige Frau sagte: » Mein Jack war auch ein Spielmann.«
» Dieser Jack hier ist aber ein Steinmetz«, gab Reynold zurück. »Ich habe schon Arbeiten von ihm gesehen. Immerhin, er könnte ja der Sohn des Spielmanns sein.« Fragend sah er Jack an. »Wie hieß Euer Vater? Jack Spielmann wahrscheinlich?«
»Nein, sie nannten ihn Jack Shareburg.«
Der Priester wiederholte den Namen, sprach ihn aber ein wenig anders aus: »Jacques Cherbourg?«
Nun fiel es dem jungen Steinmetz wie Schuppen von den Augen. Er hatte nie verstanden, warum sein Vater diesen seltsamen Namen trug, doch nun war es ihm klar – er hieß, wie so viele herumziehende Männer, nach der Stadt, aus der er kam. »Ja, natürlich«, sagte er verwundert. »Jacques Cherbourg …«
Endlich – nachdem er die Suche schon längst aufgegeben hatte, fand er heraus, wer sein Vater war! Bis nach Spanien war er gezogen – doch das, was er suchte, fand er hier, an der Küste der Normandie! Seine Suche hatte ein Ende. Er war zutiefst zufrieden – und erschöpft. Ihm war, als hätte man ihm eine schwere Last von den Schultern genommen.
»Dann ist ja alles klar«, sagte Reynold und blickte triumphierend in die Runde. »Jacques Cherbourg ist nicht ertrunken. Er ging nach England, hat dort eine Zeit lang gelebt, ein Mädchen geschwängert – und ist dann gestorben. Das Mädchen hat einen Knaben geboren und ihn nach seinem Vater genannt. Jack ist jetzt zwanzig und sieht genauso aus wie sein Vater vor vierundzwanzig Jahren.« Er sah den Priester an. »Wir brauchen keinen Exorzismus, Vater. Es handelt sich nur um eine Familienzusammenführung.«
Aliena schob ihre Hand unter Jacks Arm durch und drückte die seine. Er fühlte sich wie betäubt. Hundert Fragen schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf, und er wusste nicht, womit er beginnen sollte. Schließlich platzte er mit der erstbesten heraus. »Warum wart Ihr so sicher, dass er tot ist?«
»Weil niemand auf dem Weißen Schiff überlebt hat«, sagte der Graubart.
»Auf dem Weißen Schiff?«
»Ich erinnere mich daran«, sagte Edward. »Das war ein schlimmes Unglück, bei dem der Thronerbe ums Leben kam. Dann wurde Mathilde Thronerbin, und deshalb haben wir jetzt Stephan.«
»Aber was hatte er auf solch einem Schiff zu suchen?«, fragte Jack.
Es war die weißhaarige Frau, die ihm Antwort gab. »Er sollte den Adel auf der Reise unterhalten.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Dann bist du also sein Sohn. Und mein Enkel. Es tut mir leid, dass ich dich für einen Geist gehalten habe – aber du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Dein Vater war mein Bruder«, sagte nun der Graubart. »Ich bin dein Onkel Guillaume.«
Jack strahlte: Das ist also die Familie, nach der ich mich so lange gesehnt habe, dachte er – die Familie meines Vaters. Ich stehe nicht mehr ganz
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