Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
anderen zusammenlebe.«
Ihre Augen funkelten zornig. »Du hast sie also verlassen?«
»Ja. Bis ihre Ehe annulliert wird.«
Ellen legte das Kaninchenfell beiseite und nahm ein scharfes Messer in ihre blutbesudelten Hände. Dann begann sie, das Fleisch von den Knochen zu lösen, und ließ die Stücke in den Kochtopf fallen, der über dem Feuer brodelte. »Prior Philip hat mir einmal das Gleiche angetan, damals, als ich mit Tom zusammenlebte«, sagte sie, während sie das rohe Fleisch klein schnitt. »Ich kann mir denken, warum er so durchdreht, wenn andere Leute sich lieben – einfach, weil es ihm selber verboten ist. Er gönnt anderen nicht die Freiheit zu genießen, was ihm nicht erlaubt ist. Wenn sie in der Kirche getraut wurden, kann er natürlich nichts dagegen tun. Aber wehe, sie sind nicht getraut! Dann verdirbt er es ihnen gründlich, bloß damit er sich ein bisschen wohler fühlen kann.« Sie schnitt dem Kaninchen die Füße ab und warf sie in einen Holzeimer voller Unrat.
Jack nickte. Er hatte das Unvermeidliche hingenommen, doch jedes Mal, wenn er Aliena gute Nacht sagen und ihr Haus verlassen musste, stieg die Wut auf Philip erneut in ihm auf, sodass er gut verstand, dass seine Mutter noch immer einen tiefsitzenden Groll gegen ihn hegte. »Es ist ja nicht für immer«, sagte er.
»Wie hält Aliena das aus?«
Jack zog eine Grimasse. »Gar nicht gut. Aber sie glaubt, es sei ihre Schuld, weil sie Alfred damals geheiratet hat.«
»Das stimmt. Es ist aber auch deine Schuld, weil du unbedingt Kirchen bauen willst.«
Schade, dass sie seine Vorstellungen nicht verstand. »Ich will nichts anderes bauen, Mutter – das ist mir einfach nicht genug. Kirchen sind größer und höher und schöner als jeder andere Bau, außerdem ist die Arbeit schwieriger, und sie werden mit mehr Ornamenten und Skulpturen ausgestattet.«
»Und mit weniger gibst du dich nicht zufrieden.«
»So ist es.«
Verdutzt schüttelte sie den Kopf. »Es wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben, wie du auf die Idee kommen konntest, du seist für etwas Großes bestimmt.« Sie gab das restliche Kaninchenfleisch in den Topf und machte sich an die Säuberung der Haut, denn sie wollte das Fell noch verwenden. »Von deinen Vorfahren hast du das jedenfalls nicht geerbt.«
Das war das Stichwort, auf das er gewartet hatte. »Mutter«, fing er an, »drüben in Frankreich habe ich einiges über meine Vorfahren gehört.«
Sie hörte auf zu schaben und sah ihn an. »Wovon sprichst du?«
»Ich habe die Familie meines Vaters gefunden.«
»Gütiger Gott!« Sie ließ das Kaninchenfell fallen. »Wie ist dir das denn gelungen? Wo sind sie? Sind sie nett?«
»In der Normandie gibt es eine Stadt, die Cherbourg heißt – daher stammt mein Vater.«
»Woher willst du das so genau wissen?«
»Ich sehe ihm so ähnlich, dass sie mich für seinen Geist gehalten haben.«
Mutter ließ sich ungeschickt auf einen Schemel plumpsen, und Jack fühlte Gewissensbisse aufsteigen: Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Neuigkeiten sie so sehr erschüttern könnten. »Wie … wie ist seine Familie?«, fragte sie stockend.
»Sein Vater ist tot, aber seine Mutter lebt noch. Sie war sehr nett zu mir, sobald sie erst einmal überzeugt war, dass ich nicht der Geist meines Vaters bin. Er hatte auch einen älteren Bruder – der ist Zimmermann und hat eine Frau und drei Kinder. Meine Vettern.« Er lächelte. »Ist das nicht fein? Wir haben tatsächlich Verwandtschaft.«
Doch seine Feststellung schien sie eher aufzubringen, und sie sah etwas niedergeschlagen drein. »O Jack«, sagte sie, »es tut mir so leid, dass ich dich nicht in einer normalen Familie großziehen konnte.«
»Nun, mir tut’s nicht leid«, sagte er leichthin. Die Reueanfälle seiner Mutter brachten ihn jedes Mal in Verlegenheit – sie passten so gar nicht zu ihrem Wesen. »Aber ich bin froh, dass ich meine Vettern kennengelernt habe. Zwar werd ich sie wohl kaum jemals wiedersehen, dennoch ist es gut zu wissen, dass es sie gibt.«
Sie nickte traurig. »Ich verstehe.«
Jack holte tief Luft. »Sie dachten, mein Vater wäre bei einem Schiffsuntergang vor vierundzwanzig Jahren ertrunken. Das ›Weiße Schiff‹, auf dem er sich befand, sank vor der Küste von Barfleur, und man glaubte, alle, die an Bord waren, seien ertrunken. Mein Vater hat das Unglück offenbar überlebt, aber sie haben nie davon erfahren, weil er nicht nach Cherbourg zurückgekehrt ist.«
»Er kam statt dessen nach Kingsbridge«,
Weitere Kostenlose Bücher