Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
einer der Gründe, weshalb wir Mönche sind. Und wir können Euch nicht als Baumeister nehmen, solange Ihr Ehebruch begeht.«
Jack fiel ein Vers aus der Bibel ein: »Jesus sagte: Derjenige unter Euch, welcher ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.«
»Richtig«, sagte Philip, »aber Jesus sagte auch zu der Ehebrecherin: Gehe hin und sündige nicht mehr.« Er wandte sich Remigius zu. »Ich nehme an, du ziehst deine Einwände zurück, wenn kein Ehebruch mehr stattfindet.«
»Selbstverständlich«, sagte Remigius.
In all seiner Wut und Enttäuschung sah Jack doch klar, dass Philip Remigius säuberlich ausmanövriert hatte, indem er den Ehebruch zur entscheidenden Frage erhob und damit den neuen Entwurf gänzlich außer Acht ließ. Darauf jedoch wollte Jack sich gar nicht erst einlassen. »Ich werde Aliena nicht verlassen!«, sagte er.
»Es müsste ja nicht für lange Zeit sein«, meinte Philip.
Das kam für Jack völlig überraschend. »Wie meint Ihr das?«
»Wenn Alienas erste Ehe annulliert wird, könnt Ihr sie heiraten.«
»So etwas kann man machen?«
»Es sollte eigentlich sogar zügig gehen, wenn, wie Ihr behauptet, die Ehe nie vollzogen wurde.«
»Was muss ich dabei tun?«
»An ein Kirchengericht appellieren. Normalerweise sollte Bischof Waleran darüber entscheiden, aber in diesem Fall wendet Ihr Euch am besten direkt an den Erzbischof von Canterbury.«
»Und der Erzbischof – wird er die Annullierung aussprechen?«
»Wenn es gerecht zugeht, ja.«
Das war ja nun beileibe keine unzweideutige Antwort. »Und bis dahin müssten wir getrennt leben?«
»Ja – wenn Ihr zum Dombaumeister ernannt werden wollt.«
»Ich muss mich also zwischen Aliena und der Kathedrale entscheiden – und beide liebe ich mehr als alles andere auf der Welt.«
»Es ist ja nicht für lange.«
Der begütigende Ton ließ Jack abrupt aufsehen: In Philips Miene spiegelte sich ehrliches Mitgefühl. Philip empfand also tatsächlich Bedauern darüber, dass er diese Entscheidung treffen musste! Dieser Umstand besänftigte Jack ein wenig, und er fragte: »Wie lange?«
»Möglicherweise ein Jahr lang.«
»Ein ganzes Jahr lang!«
»Ihr werdet nicht gezwungen sein, in zwei verschiedenen Städten zu leben«, erwiderte Philip. »Ihr könnt Aliena und das Kind täglich sehen.«
»Wisst Ihr, dass sie bis nach Spanien gezogen ist, um mich zu suchen?«, fragte Jack. »Habt Ihr eine Ahnung, was das bedeutet?« Nein, natürlich nicht – Mönche hatten nun mal keine Vorstellung von weltlicher Liebe. »Und da muss ich ihr mitteilen, dass wir getrennt leben sollen!«, fügte er erbittert hinzu.
Philip erhob sich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Die Zeit wird schneller vergehen, als Ihr jetzt meint, das könnt Ihr mir glauben«, sagte er. »Ihr werdet viel zu beschäftigt sein – mit der neuen Kathedrale.«
+++
Der Wald hatte sich in den vergangenen acht Jahren sehr verändert. Jack hatte gemeint, er könne sich unmöglich darin verirren, hatte er ihn doch einst gekannt wie seine eigene Hosentasche, doch nun musste er einsehen, dass dies ein Irrtum war. Die alten Pfade waren überwachsen und überwuchert, Hirsche, Eber und Wildpferde hatten neue Fährten durchs Unterholz gezogen, die Bäche nahmen einen anderen Lauf, alte Bäume waren eingestürzt und die einst jungen in die Höhe geschossen. Alles kam Jack kleiner vor – die Entfernungen kürzer, die Hügel weniger steil. Am erstaunlichsten jedoch war, dass er sich wie ein Fremder fühlte. Als ihn ein aufgescheuchtes junges Tier über eine Lichtung hinweg misstrauisch beäugte, hätte Jack nicht zu sagen gewusst, zu welcher Sorte Rotwild es gehörte noch wo seine Mutter zu finden war; als eine Schar Enten aufflatterte, war ihm nicht wie früher sofort klar, woher sie kamen und weshalb sie aufgeflogen waren. Und er war beunruhigt, denn er hatte keine Ahnung, wo sich die Outlaws aufhalten mochten.
Er hatte fast den ganzen Tag für seinen Ritt von Kingsbridge hierher gebraucht. Nach dem Verlassen der Hauptstraße hatte er absteigen müssen, denn die Zweige über dem Trampelpfad hingen zu tief für einen Reiter. Die Rückkehr zu den Schlupfwinkeln seiner Kindheit stimmte ihn seltsamerweise traurig. Er hatte das einfache Leben damals nicht richtig zu schätzen gewusst, da er kein anderes gekannt hatte. Nun erinnerte er sich, mit welcher Leidenschaft er die Erdbeeren gesucht hatte, die auf dem Waldboden wuchsen, mit welcher Freude er jeden Sommer ein paar Tage lang so
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