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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nachgegeben hat, der Lichtgaden war, und dort waren kaum Verstärkungen angebracht.«
    Mit dieser Antwort schienen sie sich zufriedenzugeben. Jack hatte das Gefühl, dass seine sachkundigen, verlässlichen Antworten ihn dem begehrten Posten des Dombaumeisters ein gutes Stück näher brachten.
    Jetzt stand Remigius auf – Jack hatte sich schon gefragt, wo seine Einwände blieben. »Ich würde den Mitbrüdern gern einen Vers aus der Heiligen Schrift vorlesen«, sagte er bombastisch und sah zu Philip hinüber, der sein Einverständnis mit einem Nicken zu erkennen gab.
    Remigius ging zum Lesepult und schlug die dicke Bibel auf. Seine schmalen Lippen, stellte Jack fest, waren in ständiger nervöser Bewegung, und seine wässrig-blauen Augen standen ein wenig hervor, sodass er eine stets missbilligende Miene zur Schau trug. Der Mann war ein einziger wandelnder Vorwurf. Vor vielen Jahren hatte er sich eingebildet, er sei dazu bestimmt, andere zu führen und zu leiten, doch in Wirklichkeit war er einfach charakterschwach, und da er seine Enttäuschung nie überwunden hatte, lebte er heute nur noch einem Ziel: besseren Männern wie er selbst einer war so viele Steine wie möglich in den Weg zu legen. »Das Zweite Buch Mose«, tönte er, während er die Pergamentseiten umblätterte. »Kapitel zwanzig, Vers vierzehn.« Jack fragte sich, was jetzt wohl kommen mochte. Remigius las vor: »›Du sollst nicht die Ehe brechen.‹« Er schloss den Folianten mit einem lauten Knall und kehrte zu seinem Platz zurück.
    »Vielleicht verrätst du uns«, sagte Philip im Tone milder Verzweiflung, »warum du uns mitten in unserer Diskussion über die Baupläne ausgerechnet diesen kurzen Vers vorgelesen hast, Bruder Remigius?«
    Der alte Mönch reckte anklagend den Zeigefinger und wies auf Jack. »Weil der Mann, der unser Dombaumeister werden möchte, in Sünde lebt!«, donnerte er.
    Jack vermochte es kaum zu fassen. Verdrossen gab er zurück: »Gewiss, der besonderen Umstände wegen wurde unsere Verbindung nicht von der Kirche gesegnet, aber wir können heiraten, sobald Ihr es wünscht.«
    »Das könnt Ihr eben nicht«, sagte Remigius triumphierend. »Aliena ist bereits verheiratet.«
    »Aber diese Ehe wurde nie vollzogen.«
    »Nichtsdestoweniger wurde das Paar in der Kirche getraut.«
    »Aber wenn Ihr mir nicht erlaubt, sie zu heiraten, wie soll ich dann keinen Ehebruch begehen?«, versetzte Jack ärgerlich.
    »Genug!« Das war Philips Stimme, und Jack wandte sich ihm zu. Der Prior sah wütend aus. »Jack«, sagte er, »lebt Ihr tatsächlich mit Eures Bruders Weib in Sünde?«
    Die Frage erschütterte Jack. »Ja, wusstet Ihr das denn nicht?«
    »Selbstverständlich wusste ich das nicht!«, brüllte Philip. »Glaubt Ihr, ich hätte geschwiegen, wenn ich es gewusst hätte?«
    Totenstille herrschte im Kapitelsaal. Es kam äußerst selten vor, dass Philip laut wurde, und Jack wurde klar, dass er in Schwierigkeiten war. Sein angebliches Vergehen war natürlich eine reine Formalität, aber Mönche sahen solche Dinge beträchtlich strenger, mussten sie wohl auch so sehen. Dass Philip keine Ahnung von seinem Zusammenleben mit Aliena gehabt hatte, machte das Ganze jedoch noch um einiges schlimmer. Und Remigius hatte ihn prompt auf dem falschen Fuß erwischt und als Narren hingestellt. Nun musste Philip schon allein deshalb Unnachgiebigkeit an den Tag legen, weil das als Beweis für seine Strenge gewertet wurde.
    »Aber Ihr könnt doch nicht eine falsche Kirche bauen, bloß weil Ihr mich bestrafen wollt«, sagte Jack unglücklich.
    »Ihr müsst das Weib eben verlassen«, verkündete Remigius voll satter Selbstzufriedenheit.
    »Schert Euch zum Kuckuck, Remigius! Sie hat ein Kind von mir, das schon ein Jahr alt ist!«
    Remigius’ Miene wurde noch um einiges selbstzufriedener.
    »Jack«, sagte Philip, »wenn Ihr darauf besteht, eine solche Sprache in der Kapitelversammlung zu führen, so werdet Ihr gehen müssen.«
    Doch Jack konnte sich wider besseres Wissen nicht so leicht beruhigen. »Aber das ist doch albern!«, sagte er. »Mir zu befehlen, ich solle meine Frau und unser Kind im Stich lassen! Das ist keine Moral mehr – das ist Haarspalterei!«
    Philips Ärger legte sich ein wenig, und Jack erkannte das vertraute, verständnisvolle Aufleuchten in den hellblauen Augen. »Eure Auslegung der Gesetze Gottes«, sagte er, »orientiert sich naturgegeben etwas mehr am Alltag, Jack. Wir jedoch ziehen eine strengere Haltung vor – schließlich ist das

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