Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Beide dachten dasselbe.
»Später«, fuhr Richard fort, »hab ich mich mit ein paar jüngeren Kerlen unterhalten, die mich nicht kennen. Hab von der Schlacht um Lincoln erzählt und gefragt, für wen ich wohl in den Kampf ziehen könnte. Ich solle mich in Earlscastle melden, meinten sie, aber das müsse gleich heute sein, denn morgen brächen sie auf, um am Sonntag hier einzufallen.«
»Am Sonntag!«, flüsterte Jack, von Furcht ergriffen.
»Dann ritt ich nach Earlscastle, um es nochmals zu überprüfen.«
»In welche Gefahr du dich gebracht hast!«, stöhnte Aliena.
»Alle Anzeichen deuten auf einen bevorstehenden Überfall: Boten kamen und gingen, Waffen wurden geschliffen, die Pferde inspiziert, die Wege gesäubert … Kein Zweifel, was William vorhat. Diesem Teufel«, schloss Richard mit hasserfüllter Stimme, »reichen seine bisherigen Schandtaten noch nicht aus. Er muss immer und immer weiter wüten.« Unwillkürlich griff er sich ans rechte Ohr und berührte die gerötete Narbe.
Nachdenklich sah Jack ihn an. Gewiss, dachte er, Richard ist ein Faulpelz und ein Verschwender, aber was militärische Dinge betrifft, da ist er stets zuverlässig. Mit seiner Einschätzung von Williams Plänen hat er bestimmt recht … »Das wird eine Katastrophe«, murmelte er vor sich hin. Gerade erst hat sich die Stadt halbwegs von all den Übeln erholt, überlegte er. Vor drei Jahren der Brand, vor zwei Jahren der Einsturz der Kathedrale – und nun schon wieder eine Heimsuchung! Die Leute werden glauben, Kingsbridge bleibe vom Unglück verfolgt – selbst wenn wir alle fliehen und damit wenigstens neue Opfer an Leib und Leben vermeiden. Das ist das Ende der Stadt. Kein Mensch wird noch hier wohnen und arbeiten, geschweige denn zum Markt kommen wollen. Und das könnte das Ende des Dombaus bedeuten …
»Wir müssen Prior Philip unterrichten – ohne Verzug!«, sagte Aliena.
Jack nickte. »Die Mönche sind gerade beim Abendessen. Gehen wir.«
Aliena nahm Tommy auf den Arm, und zu viert hasteten sie durch die Dämmerung zum Kloster.
»Wenn die Kathedrale erst fertig ist«, meinte Richard, »kann der Markt in der Kirche stattfinden. Das wird ihn vor weiteren Überfällen bewahren.«
»Aber bis dahin«, widersprach Jack, »brauchen wir die Einnahmen daraus, um weiterbauen zu können.«
Jack ging allein ins Refektorium. Ein junger Mönch hielt die Tischlesung – einen apokalyptischen Text aus der Offenbarung, wie Jack erkannte –, während die anderen schweigend aßen. Nach einer Weile entdeckte Philip den Besucher an der Tür; Jacks Anblick schien ihn zu überraschen, doch er stand sofort auf und kam zu ihm.
»Schlimme Nachrichten«, sagte Jack grimmig. »Richard soll Euch berichten.«
Sie zogen sich in den wiederhergestellten Altarraum zurück, den die untergehende Sonne mit ihren letzten Strahlen erhellte. Richard war schnell fertig mit seinem Bericht, und Philip sagte: »Aber wir haben doch nur ein paar Marktstände und keine Wollmesse mehr!«
»Wenigstens können wir morgen alle Stadtbewohner evakuieren«, meinte Aliena. »Es kann also diesmal ohne Tote und Verwundete abgehen, und danach bauen wir wieder auf.«
»Sofern William den Evakuierten nicht nachsetzt und sie zu Tode hetzt«, gab Richard zu bedenken. »Ich traue ihm das durchaus zu.«
»Das bedeutet das Ende des Markttags«, sagte Philip, »auch wenn wir alle fliehen. Denn danach wird es niemand mehr wagen, hier einen Verkaufsstand aufzuschlagen.«
»Ebenso gut könnte es das Ende des Dombaus sein«, fügte Jack hinzu. »In den vergangenen zehn Jahren ist die Kirche einmal abgebrannt, einmal eingestürzt, und beim Überfall auf Kingsbridge kamen viele Maurer und Steinmetzen ums Leben. Noch solch ein Schicksalsschlag, und das wäre das Ende. Die Leute werden behaupten, Kingsbridge stünde unter einem schlechten Stern.«
Philip wirkte hin und her gerissen. Er ist noch keine vierzig Jahre alt, schätzte Jack, aber er hat schon Falten im Gesicht, und sein Haarkranz wird immer grauer … Trotz alledem glomm ein gefährliches Licht in seinen blauen Augen, als er sagte: »Das werde ich nicht dulden. Das kann nicht Gottes Wille sein.«
Was für eine sinnlose Bemerkung! Wie konnte er von »nicht dulden werden« reden? Ebenso mochte eine Henne behaupten, der Fuchs gehe sie nichts an … »Was wollt Ihr dagegen tun?«, fragte Jack voller Zweifel. »Beten, dass William heute Nacht aus dem Bett fällt und sich den Hals bricht?«
Richard griff den
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