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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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umbringen, ohne dass es besondere Aufmerksamkeit auf ihn lenkt«, sagte er stur.
    »Na schön. Verratet uns, wie Ihr das machen wollt«, meinte Waleran.
    »Er könnte beim nächsten Überfall auf Kingsbridge umkommen«, erklärte William und stellte mit Befriedigung fest, dass nun auf beiden Gesichtern ein Ausdruck verblüfften Respekts lag.
    Es war später Nachmittag, als Jack mit Prior Philip einen Rundgang über die Baustelle machte. Die Ruine des Altarraums war inzwischen vom Schutt befreit, und die geborstenen Steine stapelten sich im Klosterhof. Das neue Gerüst stand, und die Maurer zogen bereits die Wände neu hoch. Neben dem Hospital lagerte ein großer Vorrat an Bauholz.
    »Ihr kommt schnell voran«, meinte Philip.
    »Nicht so schnell, wie ich gern möchte«, erwiderte Jack.
    Sie inspizierten die Fundamente des Querschiffs. Vierzig oder fünfzig Tagelöhner waren in den tiefen Schächten dabei, Erde in Eimer zu schaufeln, die mittels einer Winde herausgezogen und entleert wurden. Gleich nebenan lagen große, roh behauene Steinblöcke für die Grundmauern bereit.
    Jack führte Philip in seine eigene Bauhütte. Sie war weit größer als Toms einstige Hütte und nach einer Seite hin, des besseren Lichtes wegen, ganz offen. Die Hälfte der Fläche nahm Jacks Zeichenboden ein. Er hatte sich einen großen Rahmen aus Planken gezimmert und vollständig mit Gips ausgefüllt. In den hart gewordenen Gips ließen sich mit einem kurzen, zugespitzten Eisenstift Zeichnungen ritzen.
    Jack verwendete für seine Entwürfe Kompasse, einen Richtscheit und einen Winkelhaken. Frische Zeichnungen wiesen stets weiße, deutliche Linien auf, doch da sie rasch grau wurden, konnten neue Entwürfe darüber geritzt werden, ohne dass Verwechslungen entstanden – eine Erfahrung, die Jack in Frankreich gemacht hatte.
    Den Rest des Platzes in der Bauhütte beanspruchte fast ausschließlich Jacks Werkbank, an der er seine Holzschablonen herstellte, nach denen die Steinmetzen ihre Blöcke bearbeiteten. Das Tageslicht schwand zusehends: Heute würde er nicht mehr daran arbeiten. Er räumte seine Werkzeuge auf.
    Philip nahm eine der Schablonen zur Hand. »Wofür ist diese hier?«
    »Für den Sockel eines Stützpfeilers, Plinthe genannt.«
    »Ihr bereitet Euch sehr genau vor.«
    »Ich kann’s kaum abwarten, bis wir mit dem richtigen Bau beginnen.«
    Jede Unterhaltung zwischen den beiden Männern schien sich nur noch um Fakten zu drehen.
    Philip legte die Schablone wieder hin. »Ich muss zur Komplet«, sagte er und wandte sich ab.
    »Und ich werde mal wieder meiner Familie einen Besuch abstatten«, sagte Jack giftig.
    Philip verhielt den Schritt und drehte sich um, als wolle er etwas sagen. Doch er schwieg, sah Jack nur traurig an und ging hinaus.
    Jack verschloss seine Werkzeugkiste. Er bereute seine Bemerkung bereits. Hatte er die Arbeit nicht zu Philips Bedingungen angenommen? Sinnlos, sich jetzt darüber zu beschweren! Dennoch fühlte er sich in des Priors Gegenwart ständig gereizt, und es gelang ihm nicht immer, das zu verbergen.
    Im Zwielicht ging er zu dem kleinen Haus im Armenviertel, wo Aliena mit ihrem Bruder Richard wohnte. Bei Jacks Eintritt lächelte sie erfreut, doch sie küssten sich nicht zur Begrüßung. Ja, sie vermieden sogar jede Berührung, aus Sorge, es könne sie erregen – und dann mussten sie sich entweder enttäuscht und ohne Erfüllung gefunden zu haben trennen, oder sie gaben ihrer Lust nach und riskierten, dabei ertappt zu werden, wie sie das Philip gegebene Versprechen brachen.
    Tommy spielte auf dem Fußboden. Er war jetzt eineinhalb Jahre alt, und gegenwärtig galt sein größtes Interesse Dingen, die sich ineinanderstapeln ließen. Vor ihm standen vier oder fünf Schüsseln, die er unermüdlich ineinanderzusetzen versuchte – mal die kleineren in die größeren, mal umgekehrt. Jack sah verblüfft, dass Tommy nicht instinktiv wusste, dass eine große Schüssel niemals in eine kleine passt – das mussten die kleinen Menschen offenbar erst einmal lernen. Tommy hatte mit den Raumverhältnissen ähnlich zu kämpfen wie er selbst, wenn er sich die Gestaltung eines bestimmten Steins im Gewölbe ausmalte.
    Sein kleiner Sohn faszinierte Jack, machte ihn aber auch besorgt. Bislang hatte er sich nie Gedanken darüber machen müssen, ob er Arbeit fand oder nicht. Als er nach Frankreich aufgebrochen war, hatte er keinen Augenblick daran gedacht, das Geld könne ihm ausgehen und er müsse hungern. Jetzt war das alles

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