Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
durch und stellte sich, wie es sein Vorrecht war, zu den anderen Adligen. Man nickte ihm zu und unterhielt sich flüsternd.
Die bemalte Holzdecke des alten Chorraums wollte nicht so recht zu dem hohen Ostbogen der Vierung passen. Vermutlich hatte der Baumeister die Absicht, nach Fertigstellung der Kirche den Chor einzureißen und einen neuen zu bauen, der besser zu dem übrigen Gebäude passte.
Kaum war William dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, da sah er besagten Baumeister auch schon – Jack Jackson, ein gut aussehender Bursche mit roten Haaren, der eine an Saum und Kragen bestickte dunkelrote Tunika trug wie ein Edelmann. Er wirkte überaus zufrieden mit sich selbst – gewiss, weil er das Querschiff in so überraschend kurzer Zeit errichtet hatte und alle Welt nun sein Werk bestaunte. An der Hand hielt er einen ungefähr neunjährigen Jungen, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war. Alienas Kind! , schoss es William durch den Kopf, und die Eifersucht begann an ihm zu nagen. Und da war sie auch schon selbst: Sie stand seitlich hinter Jack und lächelte dezent, aber voller Stolz, William stockte der Atem: Sie war so schön wie eh und je … Elisabeth war nichts als ein armseliger Ersatz, eine farblose Imitation der echten, lebendigen Aliena. Sie hatte den Arm um ein kleines Mädchen gelegt, das vielleicht sieben Lenze zählen mochte – ja, natürlich, sie hatte ja ein zweites Kind von Jack bekommen … Und das, obwohl sie gar nicht mit ihm verheiratet war!
Bei näherem Hinsehen entdeckte er, dass Aliena offenbar doch ein wenig von ihrer früheren Lieblichkeit eingebüßt hatte: Um die Augen zeigten sich feine Kummerfältchen, und in ihrem stolzen Lächeln lag auch eine gewisse Traurigkeit. Kein Wunder, dachte William befriedigt. Es muss ihr ja an die Nieren gehen, dass sie nach so vielen Jahren ihren Jack immer noch nicht heiraten kann! Bischof Waleran hatte sein Versprechen gehalten und die Annullierung ihrer Ehe mit Alfred zu Williams heimlicher Genugtuung wieder und wieder mit seinem Veto blockiert.
Waleran stand am Altar und hielt die Hostie hoch, sodass sie von der versammelten Gemeinde gesehen werden konnte. Nun knieten Hunderte von Menschen gleichzeitig nieder. In diesem Moment wurde das Brot zum Leib Christi, eine Wandlung, die William mit Ehrfurcht erfüllte, obgleich er keine Ahnung hatte, um was es wirklich ging.
Eine Zeit lang konzentrierte er sich auf den Gottesdienst, folgte den geheimnisvollen Handlungen der Priester, lauschte den lateinischen Sprüchen, die er nicht verstand, und murmelte ihm von irgendwoher vertraute, formelhafte Antworten mit.
Die Benommenheit, die er nun schon seit beinahe zwei Tagen empfand, war noch immer nicht von ihm gewichen, und die wundersame neue Kirche, auf deren erstaunlichen Säulen das Sonnenlicht spielte, verstärkte das Gefühl nur noch. Er glaubte zu träumen.
Kurz vor dem Ende des Gottesdienstes drehte Bischof Waleran sich um und wandte sich an die Gemeinde: »Lasset uns beten für das Seelenheil der Gräfin Regan Hamleigh, der Mutter des Grafen William von Shiring, die Freitagnacht von uns gegangen ist.«
Allenthalben erhob sich Gemurmel und Geraune, nur William starrte stumm und entsetzt den Bischof an: Endlich war ihm aufgegangen, was Mutter ihm hatte sagen wollen, bevor sie starb. Sie hatte nach dem Priester verlangt – und er hatte nicht nach ihm geschickt! Er hatte zugesehen, wie sie immer schwächer wurde, wie sie die Augen schloss, wie sie aufhörte zu atmen – und wie sie schließlich ohne Beichte starb. Wie hatte er das nur zulassen können? Nun befand sich ihre Seele schon seit Freitagnacht in der Hölle und litt dort all jene Qualen, die Mutter ihm so oft und so anschaulich geschildert hatte. Kein einziges Gebet war zu ihrer Erlösung gesprochen worden! Die Schuld wollte ihm schier das Herz zersprengen. Auch ich muss sterben, dachte er, gleich hier … Wie habe ich nur zulassen können, dass sie nun an diesem furchterregenden Ort dahinschmachten muss, ihre Seele von Sünden entstellt wie ihr Gesicht von Geschwüren … »Was soll ich bloß tun?«, entfuhr es ihm unwillkürlich, und die Umstehenden sahen ihn erstaunt an.
Das Gebet war gesprochen, und die Mönche verließen die Kirche in Reih und Glied. William verharrte weiter auf Knien vor dem Altar. Die Gemeinde verlor sich draußen im Sonnenschein. Nur der getreue Walter blieb in der Nähe, hatte ein Auge auf seinen Herrn und wartete auf ihn. William betete. Das Bild
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