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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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die Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen.
    Francis erwartete ihn im Kapitelhaus. Er saß auf einer Steinbank vor der Wand. Da Philip fast nie sein eigenes Konterfei sah – in Klöstern gab es keine Spiegel –, schloss er aus den Zügen seines nur um zwei Jahre jüngeren Bruders auf Spuren des Alters in seinem eigenen Gesicht. Francis war jetzt zweiundvierzig. Sein schwarzes Haar war mit einzelnen Silberstrahlen durchzogen, und um seine strahlend blauen Augen zeigten sich Krähenfüßchen. Er hatte seit ihrer letzten Begegnung erheblich zugenommen, vor allem an Bauch und Hals. Ich habe wahrscheinlich mehr graue Haare als er und weniger überflüssige Pfunde, dachte Philip bei sich. Aber wer von uns hat mehr Sorgenfalten?
    Er setzte sich zu Francis auf die Bank und blickte versonnen in den achteckigen, leeren Versammlungssaal. »Nun, wie steht’s?«, fragte Francis.
    »Die Wilden haben wieder Oberwasser«, sagte Philip. »Der Priorei geht langsam, aber sicher das Geld aus. Wir haben die Bauarbeiten an der Kathedrale nahezu einstellen müssen. Kingsbridge verfällt, die halbe Grafschaft leidet Hunger, und Reisen wird immer gefährlicher.«
    Francis nickte. »Überall in England das Gleiche!«
    »Mag sein, dass die Wilden ewig das Sagen haben werden«, fuhr Philip trübsinnig fort. »Mag sein, dass in den Räten der Mächtigen die Habgier stets die Weisheit und im Kopf eines Schwertträgers die Furcht stets das Mitleid besiegt.«
    »So pessimistisch kenn ich dich gar nicht.«
    »Vor ein paar Wochen wurden wir von einer Horde Outlaws überfallen. Es war erbärmlich! Kaum hatten die Bewohner der Stadt ein paar von den Angreifern getötet, da fielen die Outlaws auch schon übereinander her. Als sie kurz darauf den Rückzug antraten, setzten die jungen Männer aus der Stadt ihnen nach und metzelten jede dieser armseligen Kreaturen nieder, deren sie habhaft werden konnten. Es war widerlich.«
    Francis schüttelte den Kopf. »Man begreift es nicht«, sagte er.
    »Ich glaub schon, dass ich es begreife. Die Outlaws hatten ihnen zuvor furchtbare Angst eingejagt. Diese Angst saß so tief, dass sie sie exorzieren mussten – mit dem Blut derer, die sie so erschreckt hatten. Ich sah das damals in den Blicken der Männer, die unsere Eltern töteten. Sie töteten aus Angst. Aber wie kann man sie von dieser Angst befreien?«
    Francis seufzte. »Frieden, Gerechtigkeit, Wohlstand … alles Dinge, die nur sehr schwer durchzusetzen sind.«
    Philip nickte. »Richtig. Aber kommen wir zur Sache. Was kann ich für dich tun?«
    »Ich arbeite für den Sohn der Kaiserin Mathilde«, sagte Francis. »Er heißt Henry.«
    Philip hatte schon von diesem Henry gehört. »Was ist das für ein Mensch?«
    »Ein sehr kluger und entschlossener junger Mann. Seit dem Tod seines Vaters führt er den Titel des Grafen von Anjou. Als ältester Enkel des alten Henry, der König von England und Herzog der Normandie war, ist er ebenfalls Herzog der Normandie. Und als Ehemann der Eleonore von Aquitanien ist er nun auch noch Herzog von Aquitanien.«
    »Er gebietet über ein größeres Territorium als der König von Frankreich.«
    »Genau.«
    »Aber was ist er für ein Mensch ?«
    »Er hat eine gute Erziehung genossen, arbeitet sehr hart, zögert nicht lange, ist immer unterwegs und furchtbar aufbrausend.«
    »Ich wäre manchmal auch ganz gerne etwas aufbrausend«, sagte Philip. »Manche Leute brauchen das, um nicht über die Stränge zu schlagen. Da alle wissen, dass ich stets ruhig bleibe, gehorcht man mir nicht so flink wie einem Prior, bei dem man jeden Augenblick damit rechnen muss, dass er in die Luft geht.«
    »Bleib du nur so, wie du bist«, sagte Francis. Er lachte kurz auf, wurde aber gleich wieder ernst. »Erst dank Henry weiß ich, wie sehr es bei einem König auf die Persönlichkeit ankommt. Schau dir Stephan doch an: Sein Urteilsvermögen ist schlecht. Immer wieder zeigt er Anfälle von Entschlossenheit, nur um kurz darauf wieder aufzugeben. Sein Mut grenzt mitunter an Dummheit, und immer wieder verzeiht er seinen Feinden. Verräter riskieren bei ihm herzlich wenig, sie können sich auf seine Großmut verlassen. Es ist daher nur folgerichtig, dass er sich seit achtzehn Jahren erfolglos bemüht, ein Land zu regieren, das zur Zeit seiner Thronbesteigung ein vereinigtes Königreich war. Henry hat seine Sammlung bis vor kurzem noch unabhängiger Herzogtümer und Grafschaften schon heute besser unter Kontrolle als Stephan jemals in

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